Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
nur noch wenige beschriebene Seiten im Tagebuch.
     
    Im Restaurant erörterte Soja mit dem Kellner endlos lange und qualvoll ausführlich jede Speise. Sazepa wandte sich ab und tat, als schaue er aus dem Fenster. Natürlich hatte genau dieser Kellner vor kurzem Signor Castroni und die kleine Signorina bedient. Sazepa hatte ihn erkannt, und er Sazepa garantiert auch. Kein Wunder, er und Shenja waren ein auffälliges Paar.
    Die Vorspeisen wurden gebracht. Soja schob sich ein StückEntenleberpastete in den Mund, schloss die Augen und schwärmte: »Mhm, die ist genauso gut wie in Paris im ›Maxim‹. Probier mal, Nikolai!«
    Die Gabel mit einem Stück Pastete kam auf seinen Mund zu. Er musste ihn öffnen. Es schmeckte bestimmt wirklich gut, aber Sazepa konnte nichts essen. Der Bissen blieb ihm im Hals stecken. Ihm schien, als sehe der Kellner ihn vielsagend an. Als Sazepa von der Toilette kam, stand dieser Lakai neben Soja und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Als er Sazepa zurückkehren sah, verstummte er sofort, richtete sich auf und verschwand. Und Sojas Blick wirkte irgendwie anders.
    Sazepa leerte ein Glas Wasser in einem Zug und zündete sich eine Zigarette an.
    Es ist vorbei, wiederholte er in Gedanken, das ist nur Einbildung, meine Nerven. Mit mir ist alles in Ordnung, ich habe absolut nichts zu befürchten.
    Im Grunde empfand er gar keine besondere Angst. Eher Wehmut. Der geschwächte, aber noch immer lebendige Castroni heulte in ihm wie ein alter Hund, der vor dem Sommerhaus an die Kette gelegt und für den ganzen Winter dort zurückgelassen wird.
     
    Als Shenja und er das Restaurant verließen und in den Wagen stiegen, kam er wieder auf den Nachtklub zu sprechen, darauf, dass sie solche Etablissements nicht besuchen sollte. Sie habe noch das ganze Leben vor sich, sie müsse jetzt lernen und sich auf ihre Zukunft vorbereiten.
    »Was redest du da? Was für eine Zukunft?«, schrie die kleine Signora plötzlich auf Russisch. »Was weißt du schon von mir, du alter Idiot?«
    Sazepa schrak zusammen, der Wagen machte einen gefährlichen Schlenker nach rechts, dann nach links.
    »Vorsicht!«, kreischte Shenja. »Fehlt nur noch, dass wir jetzt irgendwen rammen! Mein Gott, ich hab das alles so satt!«
    Sazepa dröhnten die Ohren. Er fühlte, ja, er sah, wie dieKulissen zusammenbrachen. Shenja hatte zum ersten Mal Russisch mit ihm gesprochen. Ahnte sie, dass er nicht der war, für den er sich ausgab? Oder war sie die fremde Sprache einfach leid?
    »Ich verstehe dich nicht, Kleines, übersetze bitte«, bat Castroni kläglich.
    »Mein Leben ist kein Leben«, sagte sie auf Englisch, »nur Schmutz, ein einziger verdammter Dreck.«
    »Wovon redest du?«, fragte Sazepa heiser und ahnte, dass sie von ihm sprach, von ihrer beider Liebe, die nach Prostitution roch.
    »Hast du dir mal Kinderpornos im Internet angesehen?«
    »Nein.«
    »Aber du stehst auf kleine Mädchen, das müsste dich doch interessieren.«
    »Ich liebe ein einziges Mädchen, Signora Shenja. Vor dir hat es nichts dergleichen gegeben. Du weißt, ich habe in Rom eine Frau, zwei Kinder und eine Enkelin.«
    »Viele von denen haben eine Frau, Kinder und Enkel.«
    »Wer?«
    »Egal.«
    »Wie kommst du plötzlich auf Kinderpornos?«
    »Ich weiß nicht.« Sie rutschte auf ihrem Sitz hin und her, wandte sich ab und schaute aus dem Fenster.
    Der vorsichtige Sazepa fragte nicht weiter. Er sah ihre Schultern zucken und hörte sie leise schluchzen. Er war daran gewöhnt, dass sie häufig weinte. Ihr Lachen konnte in Sekunden in Weinen umschlagen und umgekehrt. Er schob es auf die Pubertät. Bis zum Ende der Fahrt schwiegen sie. In der Wohnung in Tscherjomuschki lief Shenja ins Schlafzimmer, warf sich bäuchlings aufs Bett und vergrub ihr Gesicht im Kissen. Castroni trat zu ihr und zog ihr die Stiefel aus. Plötzlich drehte sie sich abrupt um, wobei sie mit dem Fuß beinahe sein Gesicht erwischte.
    »Nick, wie alt ist deine Enkelin?«
    »Elf. Warum fragst du?«
    Sie lachte auf und sagte auf Russisch: »Genauso alt war ich, als das Ganze anfing.«
    »Ich verstehe nicht. Sprich bitte Englisch, Shenja.« Castroni blinzelte nervös.
    »Ach, Nick, lieber nicht. Besser, du verstehst nicht, wovon ich rede. Es geht mir beschissen, Nick. Du kannst dir nicht vorstellen, wie beschissen. Ich liebe ihn, er ist ein Genie, er ist der beste Mensch auf der Welt. Wir werden bestimmt heiraten. Aber wenn er erfährt … Mein Gott, ich würde das alles gern aus meinem Leben streichen, vergessen,

Weitere Kostenlose Bücher