In ewiger Nacht
unaufgeklärten Morde an Schulkindern und
Jugendlichen (Entkleidung, Erwürgen, keine Vergewaltigungsspuren) im Großraum Moskau zwischen Mitte der Siebziger und Ende der Neunziger noch einmal aufgenommen werden. Tatort: Wald. Zeit: Frühjahr ab Mitte März, Sommer und Frühherbst. Später Abend oder Nacht. Besonders aufmerksam sollte untersucht werden, aus welchen Gründen diese Fälle unaufgeklärt geblieben sind. Es ist nicht auszuschließen, dass der Täter mit der Justiz zu tun hat und die Möglichkeit hatte, die Ermittlungen zu beeinflussen.
Die Morde tragen deutliche rituelle Züge. Die Entkleidung, die »Waschung« mit süßlich duftendem Öl (Salbung), das Abschneiden einer Haarsträhne (Haareschneiden bei der Taufe). Zugleich enthalten sie auch ein offenkundig fetischistisches Element (der Täter nimmt die abgeschnittenen Haare mit und bewahrt sie vermutlich auf).
Moloch ist eine starke Persönlichkeit mit hochentwickeltem Intellekt und großer Selbstbeherrschung. Viele Jahre hatte er seine Probleme unter Kontrolle, bis auf einzelne Ausrutscher. Die aktuelle Serie könnte durch Texte oder Bilder pornographischen Inhalts im Internet ausgelöst worden sein (die Website von Mark Moloch). Womöglich stammt die Idee, die Opfer mit Babyöl zu übergießen, ebenfalls von dort (s. Erzählung »Hoffnung« von M. Moloch).
Es ist nicht auszuschließen, dass die getöteten Jugendlichen bei Pornoaufnahmen mitgewirkt haben, sich prostituierten und vom Täter über Zuhälter kontaktiert wurden. Das würde zur Hypothese von der Mission passen und erklären, warum die Kinder freiwillig zum Täter ins Auto stiegen. Und auch, warum niemand sie als vermisst gemeldet oder auf die Aufrufe in Presse und Fernsehen reagiert hat.
Da die Kinderpornographie in Russland gegenwärtig boomt und faktisch ungestraft in bedrohlichem Tempo zunimmt, könnte es bald zu einer Fortsetzung der Mordserie von Moloch kommen.
Der Täter ist ein paranoider Psychopath. Ein Missionar mit Größenwahn. Schlau und vorsichtig. Extrem gefährlich.
Solowjow saß allein in seinem Büro und las die Täterprofile mehrerer Experten. Er hatte sie in seinem Computer gespeichert. Das letzte Profil stammte von Doktor Filippowa und taugte nach Ansicht ihrer Kollegen überhaupt nichts. Ihr Serientäter sei viel zu untypisch.
»Solche gibt es in Russland nicht«, meinten sie.
Intellektuelle Missionare mit einer philosophischen Konzeption treffe man hin und wieder in den USA und in Westeuropa, und auch dort äußerst selten. Der durchschnittliche russische Triebtäter sei dumm und ungebildet.
Olga war unfähig, ihren Standpunkt zu verteidigen, und erwiderte auf die Einwände und selbst auf den Spott der Kollegen stets ergeben: Ja, wahrscheinlich haben Sie recht.
Sie war sicher, dass die Morde an den drei nicht identifizierten Jugendlichen durch Kinderpornos im Internet ausgelöst worden waren. Der Pornograph Mark Moloch erzählte in einem Opus von einem impotenten Mann, der erst dann zu einer Erektion kam, als er ein getötetes Mädchen mit Babyöl übergoss.
Hier in Solowjows Büro hatte sie vor anderthalb Jahren erklärt, dass sie die Gerichtspsychiatrie aufgeben wollte.
»Sonst werde ich noch verrückt.«
Sie hatte geweint. Er kannte sie seit ihrem siebten Lebensjahr und hatte sie noch nie weinen sehen.
Eine Zeitlang waren sie unzertrennlich gewesen. »Ein bisschen verheiratet«, wie der scharfsichtige Guschtschenko es ausgedrückt hatte.
»Sie passen sehr gut zusammen«, hatte der Professor gesagt.
Am liebsten hätte er geknurrt: Das geht Sie nichts an.
Solowjow erlaubte niemandem, sich in sein Privatleben einzumischen. Aber dem großen Guschtschenko blieb natürlich nichts verborgen. Olga hatte erzählt, dass er jeden in seinem Team nötigte, die schlimmsten Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend zu erzählen. Manchmal bediente er sich dabei derHypnose, damit sich der Kandidat entspannte und zu seinen unterbewussten Phobien zurückkehrte.
Ob sie ihm von uns erzählt hat? Vielleicht bin ich ihre Phobie, dachte Solowjow.
Alles, was mit seiner Beziehung zu Olga zu tun hatte, versetzte ihn zwanzig Jahre zurück und machte ihn empfindlich und misstrauisch wie einen kleinen Jungen.
Dreizehntes Kapitel
»Bäh, bäh!«
Es klang täuschend echt, als tollte auf dem abgewetzten grünen Linoleum tatsächlich ein Schaf herum wie im frischen Gras. Das war Marik, achtzehn Jahre alt. Ein zarter, hübscher Junge, wie sie von klein auf von Schwulen gemocht
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