In ewiger Nacht
»Und du, Karussellfahrer, wieso sitzt du noch hier rum? Ab in den Speisesaal, essen!«
Die Schwester half dem Schäfchen auf und strich ihm zärtlich über den kahlgeschorenen Kopf.
Mark erhob sich widerwillig und schlurfte in den Speisesaal.
Zum Abendbrot gab es ein hartgekochtes Ei, ein Wurstbrot, geschmorten Kohl und Kakao. Angewidert pellte Mark das graue Ei ab und dachte an sein letztes Abendessen im Restaurant.
»Isst du deinen Kohl nicht?«, erkundigte sich Schpon und griff nach dem Teller. Er aß gierig und geräuschvoll. Als er mit dem Kohl fertig war, schielte er auf das Wurstbrot.
»Na nimm schon«, sagte Mark.
Schpon schob sich das ganze Wurstbrot auf einmal in den Mund, rülpste und sagte: »Sie haben Nikonow in die Box gesperrt. Vielleicht kriegt er Elektroschocks.«
»Hmhm.« Mark nickte und nippte an dem Kakao.
So etwas Widerliches hatte er noch nie getrunken. Warme, hellbraune Plürre, ekelhaft süß und mit einer glitschigen Haut.
»Elektroschocks sind echt beschissen«, sagte Schpon. »Hör mal, trinkst du den ganzen Kakao aus oder lässt du mir die Hälfte übrig?«
»Hier, bitte.« Mark verzog das Gesicht und schob das Glas weg.
Schpon kippte gierig den Kakao in sich hinein, mit einem einzigen Schluck, wie Wodka.
Verdammt, was tue ich hier? Ich muss abhauen, dachte Mark.
Zwei Uhr nachts.
Mama hat mir zum Geburtstag eine Handtasche geschenkt, die sie in einem Fußgängertunnel gekauft hat. Ein billiges Ding, nein, schlimmer – nachgemachtes Chanel, mit großem Goldschnörkel und Strass-Steinen. Natürlich musste ich Begeisterung mimen, als hätte ich mir schon immer so eine Tasche gewünscht und würde mich nun nie mehr davon trennen. Aber Maja ist prima, sie hat mir einen Pyjama geschenkt, nicht teuer, aber sehr hübsch.
Jetzt wird Mama mich dauernd fragen: Warum nimmst du nicht die neue Tasche? Ich werde sagen, dass ich so was Schönes nur zu besonderen Anlässen benutze.
Überhaupt, ich hasse diesen Tag. Ich will nicht wieder ein Jahr älter sein und obendrein so tun müssen, als wäre ich glücklich darüber. Alle gratulieren einem, dabei sollten sie lieber kondolieren.
Papa und ich waren nett essen, er hat mir einen sehr schönen Anhänger mit einem Saphir geschenkt. Ja, das verstehe ich unter einem Geschenk für das eigene Kind. Ein Goldkettchen und ein echter Saphir. Ich hab sie gleich umgemacht. Das ist jetzt mein Talisman.
Nun bin ich also fünfzehn. Ich fühle mich alt, als wäre ich dreißig und hätte schon alles hinter mir. Komisch, Ika ist zweiundzwanzig und fühlt sich noch immer wie ein kleines Mädchen. Ihr Leben war zu Ende, als sie zehn war und ihre Eltern vor ihren Augen getötet wurden. Und begann erst wieder, als sie mit siebzehn Mark kennenlernte.
Ich habe Papa gefragt, warum er sich von Mama scheiden lassen hat. Er hat gesagt, er habe eben eine andere Frau kennengelernt und sich neu verliebt. Und Mama habe einen schwierigen Charakter, das müsse ich doch wissen.
In Wirklichkeit hat das nichts mit Mamas Charakter zu tun. Die andere war einfach jünger. Aber von ihr hat er sich auch getrennt, als er Marina kennenlernte. In drei Jahren wird er sich wieder scheiden lassen. Ich liebe ihn natürlich sehr, aber er ist trotzdem nicht ganz normal. Auf der Jagd nach der ewigen Jugend. Seine eigene kann er nicht zurückholen, also hält er sich an junge Frauen.
Weil er so ist, habe ich furchtbare Komplexe. Schreckliche Angst vorm Alter. Die Zeit rennt wie verrückt, und in meinem Kopf tickt dauernd ein Zähler. Ich glaube, mit dreißig ist das Leben einer Frau eigentlich vorbei. Vor dem Tod habe ich keine Angst, aber vor dem Alter, vor Falten, Pigmentflecken, grauen Haaren, vor der ganzen Hässlichkeit des Alters habe ich große Angst. Ich weiß, es ist albern, mit fünfzehn an solche Dinge zu denken, aber ich kann nicht anders.
Mein Papa betrachtet jede Frau über siebenundzwanzig als
alt. Für Mark ist Ika alt, dabei ist sie erst zweiundzwanzig und sieht jünger aus als ich.
Klar, wenn man genug Kohle hat, kann man sich operieren lassen, Liftings und so, aber das sieht man immer. Außerdem wird man davon abhängig, genauso wie von Drogen. Wenn man einmal angefangen hat, kann man nicht mehr aufhören.
Ach was, wovon rede ich da? Das sind vorerst nicht meine Probleme.
Mein lieber papierner Freund, du hättest diesen neuen alten Sack sehen sollen! Ein ganz Seriöser, auf den ersten Blick stark und kräftig. Kein Mensch ahnt, dass das Ding zwischen seinen
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