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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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er brüllen und sich mit den Fäusten auf seinen Manager stürzen, dieses fette, faule Nilpferd.
    Er beantwortete die Begrüßung der Leiterin des Konzertsaals, einer fülligen Dame im weißen Kostüm, mit einem zurückhaltenden Kopfnicken.
    »Komm, hör schon auf!«, flötete Natascha ihm ins Ohr, alssie die schmalen Flure entlanggingen. »Du hast selbst gesagt, ein Mal ist nicht wie das andere. Frühling ist nicht die beste Zeit für Konzerte. Zumal bei der Hundekälte. Da gehen die Leute nicht gern aus dem Haus. Nimm’s nicht gleich so tragisch.«
    Im Büro der Leiterin war der Tisch gedeckt. Tee, Piroggen, belegte Brote. Boris, der Manager, ließ sich in einen Sessel plumpsen und stürzte sich auf das Essen. Grinja, der Schlagzeuger, packte Wodka aus – er hatte fünf Flaschen in der Tasche.
    »Greifen Sie zu, bedienen Sie sich«, sagte die Leiterin. »Valentin, Sie sehen heute so traurig aus.« Sie schob ihm den Teller mit den Piroggen hin. »Probieren Sie, die hat unsere Bibliothekarin gebacken. Ach ja, sie hat mir eine CD gegeben – sie hätte gern ein Autogramm für ihren Neffen. Ein Namensvetter, er heißt auch Valentin.«
    Vaselin schob den Teller beiseite, öffnete wortlos die CD-Hülle, schrieb schräg über das Cover: »Gruß an meinen Namensvetter!« und setzte seine schwungvolle Unterschrift darunter.
    »Geht es Ihnen nicht gut, Valentin?«, bohrte die Leiterin weiter. »Ich erkenne Sie gar nicht wieder, Sie sind doch sonst immer so fröhlich.«
    »Wir sind bloß müde, wir sind heute früh erst aus Saratow gekommen«, erklärte Natascha, »der Flug hatte Verspätung, wir haben die Nacht nicht geschlafen.«
    Das war gelogen, sie waren schon am Abend zuvor aus Saratow zurückgekehrt.
    Das kurze Frühjahrsgastspiel in den Wolgastädten war gar nicht schlecht gelaufen. Die Säle waren meist voll gewesen, Verehrerinnen hatten die Hotels belagert. Aber von Stadt zu Stadt dünnte die Menge mehr aus, wurde das Gekreisch leiser, nirgends wurden Absperrungen niedergerissen, keiner wurde zu Boden getrampelt.
    »Wir müssen uns was einfallen lassen, das Repertoire verändern,was Neues finden«, überlegten die Musiker. »Wir arbeiten uns schon das dritte Jahr an einem Dutzend Songs ab. Klar, die sind klasse, echte Hits, aber alles nutzt sich mal ab, und die Konkurrenz ist hart.«
    Bevor Vaselin auf die Bühne ging, gönnte er sich in völliger Einsamkeit einen guten Kognak und eine Zigarre. Er rauchte gern vorm Spiegel und beobachtete, wie sein schönes, rassiges Gesicht aus dem Rauchschleier hervortrat. Ein Journalist hatte einmal geschrieben, Vaselin bekäme mit den Jahren immer mehr Ähnlichkeit mit Schaljapin. Eine Verehrerin, Besitzerin einer Herrenmoden-Ladenkette, nähte ihm einen Pelzmantel, wie ihn Schaljapin getragen hatte, und eine altmodische Pelzmütze. Ein teures Männermagazin platzierte umgehend ein Foto von Vaselin in diesem kleidsamen luxuriösen Aufzug auf dem Umschlag. Auch auf dem Cover der nächsten CD prangte dieses Foto: Vaselin mit nachdenklicher Miene und offenem Bojarenpelz vor verschneiten Bäumen.
    Ein kleiner, aber prosperierender Verlag bereitete eine Buchausgabe seiner Songtexte vor. Eine Plastikmappe auf dem Schminktisch vor Vaselin enthielt das Vorwort eines gewichtigen Literaturkritikers und einige begeisterte Rezensionen, die zusammen mit dem Buch erscheinen sollten. Grundtenor des Ganzen: »Dies ist echte Poesie, nach der die russischen Leser so ausgehungert sind.«
    Natascha kam lautlos in die Garderobe. Seit fast zwei Jahren begleitete das kräftige, tüchtige und ausgeglichene Mädchen ihn auf Gastspiele, holte ihn aus seinen Depressionen, fütterte ihn mit Brei und püriertem Obst, wobei sie jeden Löffel mit einer Portion aufrichtiger Verehrung würzte, massierte, schminkte und tröstete ihn. Schade, dass er sich bald von ihr würde trennen müssen.
    Natascha bürstete ihm die Haare.
    »Sie fallen schon wieder aus, du musst sie ein bisschen schneiden lassen«, flüsterte sie und küsste ihn auf den Hals. »Du musst jetzt auf die Bühne. Es ist alles bereit.«
    »Wie sieht’s aus im Saal?«, fragte er und zerdrückte die Zigarre im Aschenbecher.
    »Na ja, wie soll ich sagen? Also, Leute sind schon da.«
    Der Saal war erleuchtet. Die Lücken in den Reihen gähnten ihn an. Es wurden mit jedem Konzert mehr.
     
    In der Nacht nach dem Reinfall in Lapin konnte er wieder nicht einschlafen.
    »Wälz dich doch nicht so herum«, schnurrte Natascha. »Schlaf, mach dir keine

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