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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Luft.
    Campbell sah zu Harry Stourbridge und Lucius hinüber.
    »Es tut mir Leid«, sagte er leidenschaftlich. »Ich kann diese Dinge nicht länger für mich behalten. Miriam lebte etwa achtzehn Monate in meinem Haus, ungefähr. Natürlich erkannte sie mich auf dem Gartenfest und muss befürchtet haben, dass ich sie ebenfalls wieder erkennen und es euch sagen würde.« Er sprach noch immer mit Harry Stourbridge, als sei dies eine Privatangelegenheit, die nur sie drei anging.
    »Aber offensichtlich haben Sie es ihnen nicht gesagt«, bemerkte Rathbone und lenkte Campbeils Aufmerksamkeit damit wieder auf die Vorgänge bei Gericht. »Warum sollte diese Entdeckung sie so sehr entsetzen, dass sie fluchtartig das Haus verließ, nicht nur verlegen, sondern zu Tode erschreckt? Die Familie Stourbridge hatte doch gewiss bereits von Mrs. Gardiner erfahren, dass sie aus einer anderen Gesellschaftsschicht stammte? Warum war diese Enthüllung so furchtbar?«
    Campbell seufzte und zögerte, bevor er antwortete. Rathbone wartete.
    Im Gerichtssaal herrschte absolute Stille.
    »Mr. Campbell…«, drängte der Richter.
    Campbell biss sich auf die Lippen. »Ja, Euer Ehren. Es tut mir in der Seele weh, das sagen zu müssen, aber Miriam Speake war ein loses Frauenzimmer. Schon im Alter von zwölf Jahren besaß sie keine Spur von Moral.«
    Von Harry Stourbridge war ein Aufstöhnen zu vernehmen. Lucius erhob sich halb von seinem Stuhl, aber seine Beine schienen unter ihm nachzugeben.
    »Es tut mir Leid!«, sagte Campbell noch einmal. »Sie war sehr hübsch – sehr wohlgestaltet für eine so junge Frau… und so widerwärtig es mir ist, das sagen zu müssen, aber sie war auch sehr erfahren…«
    Wieder hörte man ein Ächzen von der Galerie.
    Mehrere Geschworene schüttelten den Kopf. Zwei von ihnen blickten enttäuscht zur Anklagebank. Rathbone wusste, dass sie jedes Wort glaubten. Er beobachtete, wie Miriam den Kopf senkte und mit den Händen ihr Gesicht bedeckte, als könne sie nicht ertragen, was sie da hörte.
    Indem er Aiden Campbell in den Zeugenstand gerufen hatte, hatte Rathbone sich auch noch um den letzten winzigen Rest einer Verteidigung gebracht. Es war ihm, als habe er sich in sein eigenes Schwert gestürzt. Alle Anwesenden im Raum starrten ihn an und warteten darauf, dass er fortfuhr. Hester musste außer sich über dieses Ergebnis sein und ihn für seine Inkompetenz bedauern.
    Tobias schüttelte mitfühlend den Kopf, und sein Mitleid galt einem Berufskollegen, der sich soeben sein eigenes Grab geschaufelt hatte.
    Campbell wartete. Rathbone musste noch etwas sagen. Es gab nichts, womit sich die Sache noch verschlimmern ließe. Zumindest hatte er jetzt nichts mehr zu verlieren und daher auch nichts zu befürchten.
    »Das ist Ihre Auffassung, Mr. Campbell? Und Sie glauben, dass Mrs. Gardiner, die inzwischen eine angesehene Witwe von über dreißig war, solche Angst hatte, Sie könnten das, was Sie über ihre traurige Kindheit wüssten, äußern und damit das zukünftige Glück ihres Neffen zerstören…«
    »Das war wohl eine vernünftige Einschätzung«, unterbrach ihn Tobias. »Welcher Mann würde seiner Schwester, die er liebt, nicht sagen, dass ihr einziger Sohn sich mit einer Dienstmagd verlobt hatte, die nicht besser war als eine Hure?«
    »Aber genau das hat er nicht getan!«, rief Rathbone. »Er hat es niemandem gesagt! Sie haben doch gerade erst gehört, dass er sich bei seinem Schwager dafür entschuldigt hat, hier und jetzt davon gesprochen zu haben!« Er fuhr herum. »Woran lag das, Mr. Campbell? Wenn sie eine solche Frau war, wie Sie sie beschreiben – oder ich sollte wohl sagen, ein solches Kind –, warum haben Sie Ihre Familie dann nicht gewarnt, statt zuzulassen, dass diese Frau Ihren Neffen heiratet? Wenn es wahr ist, was Sie sagen…«
    »Es ist wahr«, erwiderte Campbell ernst. »Der Zustand, in dem sie war und den Mrs. Anderson beschrieben hat, passt bedauerlicherweise genau zu dem, was ich über sie weiß.« Er umfasste mit beiden Händen das Geländer des Zeugenstands. Er schien sich daran festzuhalten, als wolle er ein Zittern verbergen. Er hatte Mühe, seine Stimme zu finden. »Sie hat einen meiner Diener verführt, einen bis dahin anständigen Mann, der einer Versuchung erlag, die zu stark für ihn war. Ich habe es erwogen, ihn zu entlassen, aber seine Arbeit war über jeden Tadel erhaben, und sein Abweichen vom Pfad der Tugend erfüllte ihn mit Scham. Es hätte bedeutet, dass ich sein Leben ruinierte,

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