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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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– Hurwood durch irgendeinen Zauber den ramponierten Segeln half, das Boot voranzutreiben. Zur Mittagszeit hatten sie mit hoher Bugwelle und breitem Kielwasser bereits die Südspitze Floridas passiert.
    Eine halbe Stunde später kamen die Dinge in Bewegung. Hurwood hatte in den Holzkasten gestarrt, seit sie aufgebrochen waren, aber jetzt blickte er auf. Shandy, der den alten Mann nie ganz aus den Augen gelassen hatte, bemerkte die Veränderung und machte sich an der Reling entlang auf den Weg zum Heck. Er hielt das Gleichgewicht, indem er sich alle paar Schritt an den Wanten festhielt. Nicht weit vor dem einarmigen Magier blieb er stehen.
    » Da sind … andere …«, murmelte der alte Mann.
    Mehrere der Piraten waren in die Wanten aufgeentert, um dem Gestank und dem Gedränge ihrer Gefährten an Deck zu entgehen, und hatten es sich in den Webleinen bequem gemacht. Zur Unterhaltung ihrer Kameraden an Deck – aber nicht nur aus diesem Grund – warfen sie einander eine immer leichter werdende Rumflasche zu, ohne sie bisher fallen gelassen zu haben. Aber jetzt hatte sich einer von ihnen aufmerksam nach Westen gewandt. » Ein Segel!«, brüllte er. » Au, verdammt«, fügte er hinzu, als die Flasche von seinem Knie abprallte und in eifrige Hände fiel, die sich ihr von Deck entgegenreckten. » Ein Segel querab an Steuerbord, nur eine oder zwei Meilen entfernt!«
    Das muss sie sein, dachte Shandy und drehte sich nach Steuerbord um. Sobald er jedoch das andere Schiff sah, wusste er, dass es nicht die Carmichael war – dieses Schiff hatte einen hohen Aufbau auf dem Vorschiff und auch ein besonders hohes Poopdeck, und es führte nur zwei große Segel an Fock- und Großmast, und selbst aus dieser Entfernung konnte er sehen, dass die Bordwände leuchtend rot und weiß bemalt waren.
    » Ich bin kein Hund!«, schrie Mr. Bird, der die Rumflasche zu packen bekommen hatte, seinen Kameraden böse Blicke zuwarf und sich mit seiner Beute zum Bug begab.
    Shandy spähte angespannt zu dem fremden Schiff hinüber. » Was ist das für ein Schiff?«, fragte er Davies, » und wie zur Hölle ist es uns so nahe gekommen, ohne dass einer von uns es bemerkt hat?«
    » Verdammt will ich sein, wenn ich weiß, wie«, knurrte Davies. » Wir haben keinen Ausguck besetzt, aber einer von diesen betrunkenen Bastarden hätte sie schon bemerken sollen.« Er betrachtete blinzelnd das Schiff, das sie zu verfolgen schien. » Es ist eine spanische Galeone«, sagte er staunend. » Ich wusste gar nicht, dass sie noch fahren – sie werden seit mindestens einem halben Jahrhundert nicht mehr gebaut.«
    Shandy fluchte, dann lächelte er Davies müde an.
    » Offensichtlich hat sie nichts mit unseren anderen Sorgen zu tun.«
    » Offensichtlich.«
    » Also fahren wir einfach weiter?«
    » Warum auch nicht. Selbst überladen sollten wir in der Lage sein, dieser Galeone davonzufahren, vor allem, wenn Hurwood uns mit seinem Zauber vorantreibt. Falls …«
    » Ein Ertrunkener!«, brüllte einer der Männer oben in den Wanten. » Auf Backbord, zwanzig Schritt entfernt.«
    Shandy sah Meeresvögel über einem durchweichten, im Wasser treibenden Klumpen kreisen, der bald von ihrer Bugwelle erfasst wurde.
    » Noch einer voraus!«, rief der selbsternannte Ausguck. » Wir überfahren ihn vielleicht.«
    » Einer von euch nimmt sich einen Bootshaken«, befahl Davies, » und zieht ihn raus.«
    Eine weitere Wasserleiche wurde gesichtet, aber zu weit entfernt, um von Deck gesehen zu werden. Aber der Tote voraus, den der Ausguck gemeldet hatte, wurde auf den Haken genommen, als er am Bug vorbeiglitt. Die Meeresvögel kreischten zornig, als die Wasserleiche aus dem Meer gezogen und an Bord gehievt wurde.
    » Die Heiligen mögen uns beistehen!«, rief einer der Männer, die die durchweichte Leiche an Deck gebracht hatten. » Es ist Georgie de Burgo!«
    » Wir sind tatsächlich auf der Spur des fetten Knaben«, sagte Davies energisch und trat vor. » De Burgo gehörte zu dem Dutzend Männer, die als Ankerwache an Bord der Carmichael waren.«
    Davies bahnte sich einen Weg durch das Gedränge auf Deck, stieß seine Männer wenn nötig mit Faustschlägen aus dem Weg, und Shandy eilte hinter ihm her, bevor der Pfad sich wieder schließen konnte. Er wünschte, er hätte einen besseren Blick auf die Leiche werfen können, die er im Kielwasser hatte vorbeischwimmen sehen, und er quälte sich mit dem Versuch, sich zu erinnern, ob sie in Stoff von der gleichen Farbe eingewickelt gewesen war,

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