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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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funktioniert, weil keiner von ihnen vorher im Erebus Blut vergossen hatte, aber du hättest diese Schildkröte sehen sollen, als sie versuchte, mit ihren Klauen englische Worte auf das Deck zu schreiben.« Er warf Shandy einen scharfen Blick zu. » Du hast dort doch kein Blut vergossen, oder?«
    » Wo?«
    » Im Erebus, wie die Weißen den Ort nennen. Dort, wo der Jungbrunnen ist, wo Geister nicht Geister sein können, wo aus Blut Pflanzen wachsen?«
    » Nein, nein, ich nicht.« Shandy schüttelte den Kopf. » Jetzt lass mich los, ja? Ich muss …«
    » Nein? Gut. Er kann dich … gebrauchen, wenn du es getan hast. Und als der Krieg zu Ende war und er noch lebte und so nah daran war, ein ganzes Volk von Banditen zusammenzubekommen, habe ich gesehen, dass ich aus der Alten Welt für ihn den Tod herbeirufen musste. Als dann letztes Jahr der Einarmige herkam und über Geister Bescheid wusste, war ich mir sicher, dass es mein Mann war, vor allem da seine Frau im selben Jahr gestorben war. Ich hatte meine Beschwörungen gemacht – wenn die größeren Loas ihn mir geschickt hatten, konnten sie ihren Tod verursacht haben, solange er nur dazu führte, ihn hierherzubringen.«
    » Das ist großartig, wirklich«, erwiderte Shandy. Er sprang in die Luft und schaffte es, seinen Arm aus der riesigen Pranke des Bocors zu reißen. » Aber gerade jetzt muss ich mich um die Mannschaften kümmern, in Ordnung? Jeder, der getötet und verbrannt werden muss, wird sich einfach etwas zu gedulden haben.« Er drehte sich um und lief davon, bevor Trauerkloß ihn erneut packen konnte.
    Noch bevor das Boot, das Hurwood aufgenommen hatte, die Jenny erreichte, gelang es Shandy, David Herriott, Bonnetts begriffsstutzigen Segelmeister, sowohl durch Drohungen als auch durch seine eigene augenscheinliche Bestürzung dazu zu bringen, mehr als die Hälfte der Mannschaft der Carmichael zu übernehmen. Und die Aussicht, möglicherweise an diesem öden Strand zurückgelassen zu werden, brachte den Rest der Männer in Windeseile in die Boote, aufs Wasser und zu der Schaluppe.
    Der Nebel löste sich jetzt schnell auf, und als das Boot, in dem Shandy saß, aus der letzten Nebelwand auftauchte, lächelte er voller Zuneigung über den Anblick der zerschundenen alten Jenny, die sich in der strahlenden Morgensonne im Wasser wiegte.
    » Es wird schön sein, wieder nach Süden zu kommen, wo wir hingehören«, bemerkte er zu Skank, der neben ihm im Bug hockte.
    » Oh, aye«, stimmte der junge Pirat ihm zu, » es ist immer eine riskante Sache, sich zu weit von Mate Care-for und den anderen zu entfernen.«
    » Ja.« Shandy klopfte hastig seine Tasche ab, um sich davon zu überzeugen, dass er die Kugel aus dem Schlamm des Jungbrunnens nicht verloren hatte. » Ja, es gibt schon einige merkwürdige Ungeheuer auf der Welt, und es ist das Beste, sich an die zu halten, denen man mal etwas spendiert hat.«
    Einige Minuten später stießen sie bereits gegen die von Schrot zernarbten Planken der Jenny, und Shandy reckte sich, packte die Deckskante und zog sich auf Deck. Während er Anweisungen gab, wie mit den nur notdürftig geflickten Segeln und Tauen umzugehen sei, und die Verladung mehrerer Fässer mit Pökelfleisch und Bier überwachte, spürte er, dass die Planken unter seinen Stiefeln alle paar Sekunden kurz vibrierten. Dann begab er sich nach achtern, um Davies zu melden, dass sie segelbereit seien. Dort sah er Hurwood, der auf dem schmalen Poopdeck saß und sich über seinen schauerlichen Kasten beugte. Die ungleichmäßigen Atemzüge des alten Mannes erfolgten genau zeitgleich mit den Vibrationen des Decks.
    » Ich hoffe, er niest nicht«, bemerkte Davies, dem dieses Phänomen ebenfalls aufgefallen war. » Alles so weit klar?«
    » Ich würde sagen, ja, Phil«, antwortete Shandy mit einem angespannten Grinsen. » Viel zu viele Männer, fast keine Vorräte, das Rigg mit Zwirn geflickt, und der Navigator ein einarmiger Verrückter, der Anweisungen von einem abgetrennten Kopf in einem Kasten annimmt.«
    » Großartig«, entgegnete Davies und nickte. » Gute Arbeit. Ich wusste doch, dass ich mir den richtigen Mann als Quartiermeister ausgesucht habe.« Er schaute auf Hurwood hinab. » In welche Richtung?«
    Hurwood deutete nach Süden.
    » Anker auf!«, rief Davies. » Und Ruder hart Steuerbord!«
    Die alte Schaluppe drehte den Bug bedächtig nach Süden und nahm dann trotz ihrer tiefen Lage im Wasser so schnell Fahrt auf, dass – wie zumindest Shandy sofort klar war

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