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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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etwas über Geisterbeschwörung?«
    » Nicht wirklich – obwohl ich, so wie die Dinge liegen, denke, dass ich bald mehr darüber wissen werde als übers Segeln.«
    » Nun. Ich bin selbst kein Experte, was das betrifft, aber ich weiß immerhin, dass es nicht leicht ist. Selbst wenn man nur ein dunstiges, halb schwachsinniges Abbild einer toten Person schafft, kostet das eine Menge magischer Energie.« Er wedelte mit der Hand. » Und hier hat jemand die gesamte verdammte de Lagrimas wiedererweckt – Segel, Planken, Farbe und alles, und die Mannschaft obendrein, wenn man sich ansieht, wie sie bewegt wird, und sie erscheint massiv genug, um sich nicht von einem wirklichen Schiff zu unterscheiden, und noch dazu in grellem Sonnenlicht.«
    » Leo Friend?«
    » Irgendwie denke ich, ja. Aber warum?«
    Shandy sah Hurwood an. » Ich fürchte, wir werden es herausfinden.« Und ich hoffe, dachte er inbrünstig, dass er zu beschäftigt war – mit diesem mörderischen Piraten und der Beschwörung von Geisterschiffen –, um Beth Hurwood seine Aufmerksamkeit zu schenken.

Kapitel 17
    Von dem Winkel der Kajüte aus, in dem sie sich zusammengekauert hatte, konnte Beth Hurwood Leo Friend nur in einer Folge regelmäßig unterbrochener Augenblicke herantänzeln sehen. Denn er hatte die Tür hinter sich geschlossen, als er hereingekommen war, und das einzige Licht in der Kajüte war das kurze, metronomhafte Aufleuchten des blauen Himmels in einem Bullauge, das offensichtlich im Takt mit dem Herzschlag des fetten Mannes immer wieder erschien und verschwand.
    Sie war im Morgengrauen erwacht und hatte festgestellt, dass sie den kühlen Sand hinunter zu einem Boot ging, das im flachen Wasser schaukelte. Als sie gesehen hatte, dass Leo Friend darin saß und sie angrinste, hatte sie zuerst vergeblich versucht, stehen zu bleiben, dann am Boot vorbeizugehen, aber auch das war ihr unmöglich gewesen, und sie hatte es nicht einmal geschafft, ihren Schritt zu verlangsamen, während sie hilflos in das eisige Wasser gewatet und in das Boot geklettert war. Dann hatte sie versucht zu sprechen, aber es war ihr nicht gelungen, ihre Stimmbänder anzuspannen oder den Mund zu öffnen. Das Boot war durch die Brandung auf die undeutliche Silhouette der Carmichael zugefahren; die Fahrt zum Schiff hatte nur etwa eine Minute in Anspruch genommen, und während dieser Zeit hatte Friend nicht ein einziges Mal die lose in den Dollen hängenden Riemen berührt, und Beth war es nicht gelungen, auch nur einen Muskel zu bewegen.
    Aber das alles lag mehrere Stunden zurück, und sie hatte seither zumindest genug Kontrolle über ihre eigenen Taten gewonnen, um in diese Ecke zu kriechen und sich die Ohren zuzuhalten, als sie die Piraten schreien und sterben hörte.
    Jetzt beobachtete sie Friend argwöhnisch und überlegte, wo an seinem schwabbeligen Körper sie ihre Zähne und Fingernägel am wirkungsvollsten einsetzen konnte. Außerdem versuchte sie, sich gegen eine weitere Episode durch Magie bewirkter, marionettenhafter Hilflosigkeit zu wappnen.
    Aber einen Moment später spürte sie, wie sie aufstand und sich unter Schmerzen zu einer unbequemen Position auf den Zehenspitzen aufrichtete, die sie freiwillig niemals eingenommen hätte. Dann verlagerte sich ihr Gewicht auf die Fersen, und ihre Arme wurden hoch- und auseinandergerissen – allerdings nicht zur Wahrung des Gleichgewichts, denn sie konnte ebenso wenig fallen wie der Mast eines gut geriggten Schiffes.
    Friend hob seinerseits die Arme, und sie begriff, dass sie in diese Position gebracht worden war, um ihn zu umarmen. Seine feuchte wulstige Unterlippe zitterte, das Fenster tauchte jetzt auf und verschwand wieder so schnell wie die beiden Seiten einer sich drehenden Münze, und als er in ihre Arme trat, spürte sie, wie sie versuchten, sich um seinen schwabbeligen Rücken zu schließen. Dann presste er den Mund fest auf ihren.
    Er stank nach Parfüm, Schweiß und Süßigkeiten und fummelte mit einer Hand ungeschickt an ihr herum, aber Beth war für den Moment in der Lage, Augen und Zähne fest zusammenzupressen. Dann glitt sein Mund von ihrem herunter und sie hörte ihn leidenschaftlich wieder und wieder etwas flüstern.
    Sie öffnete die Augen … und blinzelte erstaunt.
    Das Flackerlicht im Bullauge, die ganze Schiffskajüte, alles war verschwunden. Sie standen beide auf einem gestrickten Flickenteppich in einem Raum, bei dem es sich um ein schäbiges englisches Schlafzimmer zu handeln schien; die Luft war

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