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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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gleichzeitig zum Abendessen in die Stadt gegangen … und das Schloss an der Tür erwies sich als so verrostet, dass ein harter Stoß den Riegel brechen ließ. Selbst Bonnett hatte nie wirklich die Demütigung einer Verhandlung und öffentlichen Hinrichtung gewollt, und so, voller Jubel über etwas, das ein purer Glücksfall zu sein schien, waren er und Herriot hinausgeschlüpft, hatten ein Boot gestohlen und waren dann an Johnson’s Fort vorbei nach Osten gerudert und weiter aus dem Hafen hinaus.
    Dann war das Wetter schlecht geworden, mit Wind und Regen und kabbeliger See, und sie mussten auf Sullivan’s Island an Land gehen, direkt nördlich des Hafens; und zu spät begannen sie beide sich unbehaglich zu fragen, ob ihre Flucht wirklich nur Glück gewesen war.
    Das Wetter hatte sich nicht verbessert. Den beiden Flüchtlingen gelang es, mit dem Segel ihres Bootes ein Zelt zu errichten, und zwei Wochen lang lebten sie von Flundern und Schildkröten, die sie über einem sorgfältig verborgenen Feuer garten. Bonnett hoffte, dass der bescheidene, vom Wind zerstreute Rauch des Feuers vor dem Hintergrund des stets grauen Himmels unbemerkt bleiben würde.
    Offensichtlich war es nicht so gewesen.
    Bonnett riss jetzt einen fächerförmigen Wedel von einer der allgegenwärtigen Zwergpalmen und warf ihn aufs Feuer; der Palmwedel begann zu knacken und sich zusammenzurollen, und Bonnett hoffte, dass das Knacken und Prasseln jedwede Geräusche übertönen würde, die Colonel Rhett und seine Männer machten, wenn sie die Seeseite der Düne hinaufkrochen. » Ja«, fuhr er laut fort, » es wird uns beiden gut tun, David, von dieser Insel herunterzukommen. Ich bin bereit loszufahren und weitere Schiffe zu kapern – und ich habe aus meinen Fehlern gelernt! Nie wieder werde ich jemanden am Leben lassen, dass er gegen mich Zeugnis ablegen kann!« Er hoffte, dass Rhetts Gruppe diese Vorsätze hörte. » Vergewaltigt die Frauen, erschießt die Männer und werft sie alle über die Reling. Den Haien zum Fraß!«
    Herriot wirkte noch unglücklicher und der Bocor starrte Bonnett mit unverhohlenem Argwohn an.
    » Was tust du?«, fragte der Bocor. Besonders wachsam wegen ihrer großen Entfernung von den schützenden Loas der Karibik hob er die Hand und ließ sich die Brise durch die Finger streichen.
    Wo bleibt Ihr, Rhett, fragte sich Bonnett verzweifelt, und seine fröhliche Miene bekam die ersten Risse. Seid Ihr schon in Position? Habt Ihr die Pistolen geladen, entsichert und auf uns gerichtet?
    Der Indianer stand auf und ließ den Blick über die Lichtung gleiten. » Ja«, sagte er zu dem Schwarzen, » hier gibt es verborgene Absichten.«
    Der Bocor fuchtelte noch immer mit den Fingern, aber die Hand zeigte auf die Seeseite der Düne. » Da sind … andere! In der Nähe!« Er drehte sich schnell zu dem Indianer um. » Schützende Magie! Sofort!«
    Die Hand des Indianers zuckte zu dem verzierten Lederbeutel an seinem Gürtel …
    » Feuer!«, brüllte Bonnett.
    Ein Dutzend nahezu gleichzeitiger Explosionen ließ die Luft erzittern, überall auf der Lichtung wirbelte Sand, und Funken flogen aus dem Feuer. Oben auf der Düne wurden Stimmen laut, doch Bonnett konnte nicht hören, was sie sagten. Langsam drehte er den Kopf und sah sich um.
    Der Indianer saß im Sand und hielt sich seinen zerfetzten, blutigen Oberschenkel, und der Bocor umklammerte sein rechtes Handgelenk und schaute stirnrunzelnd auf seine zerrissene und fast fingerlose Rechte hinunter. David Herriot lag flach auf dem Rücken und starrte aufmerksam in den Himmel; ein großes Loch war in die Mitte seines Gesichtes gesprengt worden, und Blut zeichnete bereits einen dunklen Heiligenschein in den Sand um seinen Kopf.
    Lebewohl, David, dachte Bonnett. Ich bin froh, dass ich dir zumindest dies geben konnte.
    Colonel Rhett und seine Männer kamen den diesseitigen Hang der Düne heruntergerutscht und -gelaufen und achteten sorgfältig darauf, frische Pistolen auf die Männer am Feuer zu richten. Bonnett kam der Gedanke, dass er selbst von keiner der Pistolenkugeln getroffen worden war, die Rhetts Männer abgeschossen hatten.
    Das bedeutete, dass er überleben würde … um öffentlich vor Gericht gestellt zu werden und dann zur morbiden Unterhaltung für alle Bewohner von Charles Town zu werden – ebenso wie für alle Indianer und Seeleute und Fallensteller, die sich gerade in der Stadt aufhielten –, mit dem Spektakel, dass er zappelte und Grimassen schnitt und öffentlich die

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