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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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unnatürlich vor. » Kommt mit mir, ich verspreche Euch, Euch direkt in den nächsten Hafen zu bringen.«
    » Wie«, kam Beth’ Stimme überraschend ruhig durch die verzerrte Tür, » kann ich einem Mann vertrauen, der einen Marineoffizier getötet hat, um Mörder vor den gerechten Konsequenzen ihrer Taten zu retten, einem Mann, der mir später ein Messer an die Kehle gesetzt hat, um mich von meinem eigenen Vater fernzuhalten?«
    Shandy strich sich eine verirrte Locke seines salzsteifen Haares aus der Stirn und blinzelte zu Hurwood hinauf, der ihm zulächelte und in gespieltem Mitgefühl die Achseln zuckte. » Dieser Marinekapitän«, antwortete Shandy, um einen ruhigen Tonfall bemüht, » stand im Begriff, Davies zu ermorden. Er wollte ihn ohne Verhandlung töten. Ich hatte keine Wahl. Und Euer Vater …« Er hielt für einen Moment verzweifelt inne, dann zwang er sich weiterzusprechen, er entledigte sich der Worte wie eine Besatzung, die Kanonen und Kisten von einem sinkenden Schiff über Bord wirft. » Euer Vater hat die Absicht, Euch die Seele aus dem Körper zu treiben, damit er sie durch die Seele Eurer Mutter ersetzen kann.«
    Es kam keine Antwort aus der Kajüte.
    » Bitte, verlasst jetzt mein Schiff«, meldete Hurwood sich höflich zu Wort.
    Stattdessen streckte Shandy die Hand nach dem Riegel der Tür aus – und einen Augenblick später schwebte er durch die Luft; er stieg in die Höhe, weg von der Kajütentür. Seine Augen weiteten sich und pressten sich dann zusammen, und dann öffnete er sie einen Spaltbreit, und sein ganzer Körper war starr von unkontrollierbarem Schwindel.
    Als er über die Reling der Carmichael geschwebt war und vor dem vom Feuer geschwärzten Bug der Jenny über dem Wasser hing, wurde er losgelassen und stürzte ins kalte Wasser.
    Er kämpfte sich an die Oberfläche und schwamm erschöpft zur Jenny hinüber, wo ihn muskulöse Arme an Bord zogen. » Es ist stinkende Magie, Käpten«, sagte Skank zu ihm, als er sicher an Bord war, am Mast lehnte und tief durchatmete, während sich um seine Stiefel auf dem Deck eine Pfütze Meerwasser ausbreitete. » Wir haben Glück, dass wir überhaupt davonkommen, jawohl.«
    Shandy zeigte seine Überraschung darüber, mit Käpten angesprochen zu werden, nicht. Schließlich war Davies tot und Shandy war sein Quartiermeister gewesen. » Ich schätze, du hast recht«, murmelte er.
    » Aber ich bin wirklich froh, dass du es geschafft hast, Jack«, versicherte Venner ihm mit einem breiten Lächeln, das die Kälte in seinen grauen Augen nicht verbergen konnte.
    Die letzten Piraten machten die Enterhaken los, sprangen ins Wasser und waren schon bald an Bord der Jenny und verlangten Rum.
    » Ja, gib ihnen Rum«, sagte Shandy. Er strich sich erneut eine Haarsträhne aus der Stirn und überlegte, dass er bald sein Haar zurückbinden und seinen geteerten Zopf um einen weiteren Zoll oder zwei verlängern müsste. » Wie schwer ist die Jenny beschädigt?«
    » Nun«, erwiderte Skank diplomatisch, » sie war schon vor dieser Feuerkugel nicht in bester Verfassung. Aber wir sollten in der Lage sein, sie ohne Weiteres nach New Providence zurückzubringen – solange wir jede Halse vermeiden.«
    » New Providence«, wiederholte Shandy. Er schaute auf und sah Birds Leichnam die Wanten der Carmichael aufentern. Er trat in die Fußpferde unter der Rah, an die das Großsegel angeschlagen war, und mit der Präzision eines Uhrwerks löste er das zusammengebundene Segel, damit es sich entfalten konnte, während andere unter ihm das Fall bedienten. Das Segel füllte sich, die Brassen, Schoten und Halsen rauschten durch die Blöcke, und langsam entfernte sich das große Schiff von der Jenny.
    » New Providence«, murmelte der neue Kapitän der Jenny nachdenklich.
    Und in der Kajüte der Carmichael fiel endlich der Bann von Beth Hurwoods Kehle ab, und sie keuchte: » Ich glaube Euch, John! Ja – ja, ich werde mit Euch kommen! Bringt mich weg von hier, bitte!«
    Aber mittlerweile war die Jenny nur noch ein schäbiger Fetzen verfärbten Segeltuchs in mittlerer Entfernung auf dem strahlend blauen Wasser, und abgesehen von denen ihres Vaters waren die einzigen Ohren, die ihre Worte erreichten, die der toten Männer, die als Besatzung auf der Carmichael dienten.

Buch 3
    » Wie spät ist es ? «
    » Es ist ein Viertel auf zwölf,
    Und morgen ist der Tag des Gerichts . «
    T. L. Beddoes

Kapitel 19
    Sechs Männer stiegen aus dem Boot, nachdem es im seichten Wasser aufgelaufen

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