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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Kontrolle über seine Blase und seine Eingeweide verlor, während er für einige lange Minuten am Ende eines Seils an seinem Hals baumelte.
    Er schauderte und fragte sich, ob es zu spät war, um Rhetts Männer dazu zu provozieren, ihn hier und jetzt zu töten.
    Es war zu spät. Rhett selbst war hinter ihn getreten und riss jetzt mit einem Ruck seine Arme zurück und fesselte ihm die Handgelenke mit kräftiger Schnur. » Guten Tag, Major Bonnett«, sagte Rhett kalt.
    Das Schaudern verging, und Bonnett stellte fest, dass er sich entspannen konnte. Er schaute auf und drückte die Schultern durch, wie es einem ehemaligen Major zukam. Nun, ich werde ohne Ehre sterben, dachte er, aber zumindest hinterlasse ich auch keine offene Schuld. Ich habe den Tod verdient, den sie für mich vorbereiten werden. Nicht durch Piraterie, denn das war niemals mein Werk; aber jetzt brauche ich mir wegen einer anderen Angelegenheit nicht länger etwas vorzumachen.
    » Guten Tag, Colonel Rhett«, antwortete er.
    » Fesselt den Schwarzen und den Indianer«, befahl er einem seiner Männer, » und dann führt sie zum Boot. Stoßt sie mit dem Messer vor euch her, wenn sie Schwierigkeiten machen.« Dann versetzte er Bonnett einen Stoß. » Dasselbe gilt für Euch.«
    Bonnett ging die Düne hinauf auf den grauen Himmel zu. Er lächelte beinahe. Nein, dachte er, ich brauche mir nicht länger vorzumachen, dass ich unter Drogen stand, als ich diese arme Hure totgeschlagen habe, die eine so überzeugende Imitation meiner Ehefrau gegeben hat. Jetzt, da ich abberufen werde, aus welchen irrigen Gründen auch immer, um für ein schreckliches Verbrechen Buße zu tun, kann ich zumindest froh darüber sein, dass sie einen Mann gefunden haben, der es verdient zu hängen.
    Er dachte an Schwarzbart. » Lasst mich nicht wieder entkommen, versteht Ihr?«, rief er Rhett zu. » Sperrt mich irgendwo ein, wo ich nicht hinauskann, und lasst mich gut bewachen!«
    » Keine Sorge«, versprach Rhett.

Kapitel 20
    Das schwache Rosa der Morgendämmerung hinter der Spitze der Insel Ocracoke war kräftig genug geworden, um das Inlet zu erkennen, die Einfahrt in das riesige Haff vor Carolinas Küste, den Pamlicosund. Schwarzbart kicherte leise, als er die Segel der beiden Marineschaluppen sah, die immer noch am gleichen Platz vor Anker lagen wie in der Abenddämmerung. Der riesige Pirat kippte die letzte Flasche Rum, und als sie leer war, wedelte er damit in Richards Richtung. » Hier ist noch eine für Miller«, erklärte er. » Ich werde sie ihm bringen.« Er atmete tief ein und genoss die Mischung aus kühler Morgenluft und Rumdämpfen, und es schien ihm, dass die Luft selbst unter Spannung stand – sie zu atmen war so, als berühre er einen bis kurz vorm Bersten gespannten Holzbalken.
    Obwohl er sie nicht gern aß, zwang er sich, ein weiteres Bällchen aus Zucker und Kakao zu kauen und herunterzuschlucken, und er würgte, aber er bekam es in den Magen. Das musste genügen, sagte er sich; wahrscheinlich hatte niemand auf der Welt jemals so viel Rum getrunken oder so viele verdammte Süßigkeiten gegessen wie er es in dieser Nacht getan hatte. Er war sich sicher, dass in seinen Adern kein Tropfen Blut war, der nicht gesättigt war von Zucker und Alkohol.
    » Wir könnten uns immer noch nach Osten davonmachen, Käpten«, meinte Richards nervös. » Die Flut steht noch hoch genug, um mit dieser Schaluppe über die Untiefen zu kommen.«
    Schwarzbart reckte sich. » Und unsere Beute aufgeben?«, fragte er und deutete ruckartig mit dem Daumen auf die etwas größere Schaluppe, die dreißig Schritt entfernt auf Steuerbord ankerte und die sie gestern gekapert hatten. » Nein. Mit den Jungs von der Navy werden wir schon fertig.«
    Richard runzelte noch immer besorgt die Stirn, sagte aber nichts mehr. Schwarzbart grinste, als er nach achtern zum Niedergang des Batteriedecks ging. Es sieht so aus, dachte er bei sich, als hätte ich durch die Schüsse auf Israel Hands zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich habe dem Rest des Haufens tatsächlich solche Angst eingejagt, dass sich niemand mehr mit mir zu streiten wagt.
    Sein Grinsen wurde zu einem schmerzlicheren Ausdruck – auf einem weniger wilden Gesicht hätte er vielleicht der einer traurigen Ironie sein können –, als er sich an diese Zusammenkunft in seiner winzigen Kajüte vor zwei Nächten erinnerte. Es war gerade eine Nachricht von dem Zolleinnehmer Tobias Knight gekommen, dass Virginias Gouverneur Spotswood wisse, wo

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