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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Pralinen.«
    Hurwood schürzte verdrossen die Lippen, antwortete jedoch. » Wenn ich nicht vorbeisegle und winke, wird er annehmen, dass ich nicht rechtzeitig eintreffen werde, und so wird er den ersten Teil der Magie wirken. Den Teil, der am Weihnachtstag gewirkt werden muss. Ich wollte heute in Jamaika sein, um ihm die Mühe zu sparen, auch nur dort hinausgehen zu müssen, aber der Sturm gestern, und Ihr heute …« Hurwood öffnete den Mund, wenn auch nicht weit. » Ich dachte einfach, wir würden morgen in der Nähe sein, ich würde ihm zuwinken und allen die Mühe sparen. Schließlich habt Ihr die volle Prozedur unmöglich gemacht, indem Ihr den Kopf zerstört habt.« Er schloss die Augen wieder.
    » Was ist dieser … dieser erste Teil der Magie?«, fragte Shandy und spürte, wie die ersten dünnen Netze von Angst sich wieder über ihn senkten.
    » Der Teil, der an Land gewirkt werden kann. Der große Teil, den ich hätte wirken müssen, muss auf See stattfinden. Morgen Mittag wird er den ersten Teil übernehmen. Es wäre ihm lieber, wenn ich es täte. Er wird unglücklich sein, wenn er mich nicht vorbeisegeln sieht.«
    » Er wird was tun? Verdammt noch mal, was ist dieser erste Teil?«
    Hurwood öffnete wieder die Augen und schaute Shandy verwundert an. » Nun … die Austreibung ihres Geistes. Elizabeth’ Geist und ihrer Seele. Er wird den Geist aus ihrem Körper treiben, mit Magie. Ich habe ihm gezeigt, wie es geht. Allerdings«, fügte er mit einem Gähnen hinzu, » ist das jetzt Zeitverschwendung. Es gibt niemanden, den ich an ihre Stelle in ihren Körper geben könnte.«
    Ein plötzlicher Schmerz in den Kniescheiben ließ Shandy wissen, dass er auf die Knie gefallen war. » Wird sie dann zurückkommen?«, fragte er und zwang sich, nicht zu schreien. » Wird Beth’ Seele dann in ihren Körper zurückkehren?«
    Hurwood lachte, das unbeschwerte, sorglose Lachen eines Kindes. » Zurückkommen? Nein. Wenn sie fort ist, wird sie … fort … sein.«
    Shandy versagte es sich, den alten Mann zu schlagen oder zu würgen, und er sprach nicht, bis er sicher war, dass er Hurwoods beiläufigem Tonfall wieder würde in gleicher Weise entsprechen können.
    » Nun«, begann er, aber in seiner Stimme war ein rauer Unterton, also fing er von Neuem an. » Nun, wisst Ihr was? Ich werde dafür sorgen, dass dieses Schiff tatsächlich bis morgen zum Tagesanbruch vor Jamaika sein wird. Und dann werdet Ihr Eurem … Freund zuwinken, diesem Hicks, nicht wahr?« Er lächelte, aber seine verletzten Hände waren zu Fäusten geballt, so fest wie angezogene Knoten.
    » Schön.« Hurwood gähnte abermals. » Ich würde jetzt gern schlafen.«
    Shandy stand auf. » Gute Idee. Wir werden morgen verdammt früh aufstehen.«
    Wenn er aus den Augenwinkeln spähte – es sollte aussehen, als sei er tief ins Gebet versunken –, musste der Messdiener zugeben, dass die Kirche wirklich dunkler wurde. Und während er Angst vor den trockenen, staubigen, vogelähnlichen Dingen hatte, die frei sein würden herauszukommen, wenn alles Licht erloschen war, hoffte er, dass die totale Dunkelheit bald kommen würde – denn nach der Hochzeitszeremonie würde der Pfarrer die Kommunion austeilen, und der Messdiener wusste, dass er zu schwer gesündigt hatte, um sie zu empfangen, und so wollte er in der Lage sein, ungesehen davonzuschlüpfen … auch wenn das bedeutete, dass er selbst zu einer der spinnwebartigen Vogelkreaturen wurde. Er schauderte und fragte sich unglücklich, was aus all den schönen Dingen geworden war. Es hatte Freunde gegeben, eine Ehefrau, ein Stipendium, den Respekt von Kollegen, Selbstachtung … Vielleicht waren sie nur ein peinigender Traum gewesen und es hatte niemals wirklich etwas anderes gegeben als Dunkelheit und Kälte und das langsame Herankriechen von Schwachsinn.
    Der Gedanke tröstete ihn.
    Das Hochzeitspaar kam endlich in den Schatten vor dem Altar zusammen und reichte sich die Hände, langsam, wie Tang, der in der ziellosen Strömung am Meeresgrund treibt. Dann begannen sie die Stufen hinaufzusteigen, und der Messdiener begriff, dass die völlige Dunkelheit zu lange ferngehalten worden war.
    Die Braut war nur ein leeres, aber belebtes Kleid; das war nicht so schlimm – es war immer beruhigend, nur eine Abwesenheit zu finden, wo es geschienen hatte, dass eine Gegenwart sein könnte –, aber der Bräutigam war präsent und lebendig: es war unmöglich, sicher zu sein, dass er menschlich war, denn das gehäutete, blutende

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