Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
Vom Netzwerk:
ewig zurückhalten«, stieß der Bocor hervor.
    » Ein wenig länger noch«, blaffte Hurwood. » Margaret!«
    Auf einer Seite gerieten die Geister in Bewegung und dann driftete eine spinnwebartige Gestalt nach vorn. » Benjamin, wie bist du hierhergekommen?«
    » Margaret!« Sein Schrei war mehr einer des Schmerzes als des Triumphes. » Sie«, knurrte er den Bocor an. » Lass sie herankommen.«
    Der Bocor hörte mit den ausholenden Bewegungen auf und begann, alle anderen Schatten zurückzustoßen. Der auserwählte Geist, der einer Frau, näherte sich der Grube, dann verschwamm er und schrumpfte und wurde wieder sichtbar in einer knienden Position. Er griff nach dem Blut, hielt dann aber inne und berührte lediglich die Paste aus Mehl und Rum am Rand. Für einen Moment wurde er im Fackellicht milchig, und die Hand der Frau wurde fest genug, um eine der Kügelchen aus Zuckerwerk einige Zoll weit zu rollen. » Wir sollten nicht hier sein, Benjamin«, sagte sie mit etwas kräftigerer Stimme.
    » Das Blut, nimm das Blut …«, rief der einarmige Mann und fiel auf der anderen Seite der Grube auf die Knie.
    Ohne einen Laut löste sich die Gestalt des Geistes in Rauch auf und wehte davon, obwohl die kalte Klinge nicht in ihre Nähe gekommen war.
    » Margaret!«, brüllte der Mann und sprang über die Grube zwischen die sich zusammendrängenden Geister; sie gaben nach wie Spinnweben zwischen Bäumen, und er schlug mit dem Kinn hart auf dem festen Boden auf. Das Klingeln in seinen Ohren verhinderte beinahe, dass er den Chor entsetzter Geisterstimmen hörte, die sich rasch in der Stille verloren.
    Nach einigen Augenblicken richtete Hurwood sich auf und sah sich blinzelnd um. Das Fackellicht war heller jetzt, da keine Geistergestalten mehr da waren, die es filterten.
    Der Bocor starrte ihn an. » Ich hoffe, das war es wert.«
    Hurwood antwortete nicht, sondern erhob sich einfach langsam und erschöpft. Er rieb sich sein angeschlagenes Kinn und schob sich das nasse weiße Haar aus dem Gesicht. Die Ungeheuer jenseits der Aschelinien waren immer noch da. Offenbar hatte keines von ihnen sich während der ganzen Angelegenheit bewegt oder auch nur geblinzelt.
    » Ihr habt euch gut unterhalten, ja?«, rief Hurwood auf Englisch und schüttelte seine einzige Faust. » Soll ich mich noch einmal über die Grube werfen, nur damit ihr euch nicht betrogen fühlt?« Seine Stimme war gepresst und schrill, und er blinzelte hektisch, während er einen Schritt auf den Rand der Lichtung zutrat und auf einen der Beobachter zeigte, ein riesiges Schwein mit Hahnenköpfen, die ihm aus dem Hals sprossen. » Ah, Ihr da, Sir«, fuhr Hurwood fort, und seine Freundlichkeit troff von Zynismus, » tut uns den Gefallen und gebt Eure aufrichtige Meinung preis. Wäre ich besser beraten gewesen, stattdessen eine Vorführung im Jonglieren zu geben? Oder vielleicht einen Auftritt mit Gesichtsfarbe und einer falschen Nase …«
    Der Bocor packte ihn von hinten am Ellbogen, drehte ihn um und starrte ihn erstaunt und beinahe mitleidig an. » Genug«, sagte er leise. » Die meisten von ihnen können nicht hören, und ich glaube nicht, dass auch nur einer von ihnen Englisch versteht. Bei Sonnenaufgang werden sie fortgehen und wir werden aufbrechen.«
    Hurwood riss sich von dem anderen Mann los, ging zurück in die Mitte der Lichtung und setzte sich hin, nicht weit entfernt von der Grube und den beiden ausgebluteten Leichen. Der Geruch der Magie – der Geruch von heißem Metall – hatte sich aufgelöst, aber die Brise zerstreute den Blutgestank nicht besonders gut.
    Bis Sonnenaufgang waren es noch neun oder zehn Stunden, und obwohl er bis dahin hierbleiben musste, würde es gewiss unmöglich sein zu schlafen. Die Aussicht auf die lange Wartezeit bescherte ihm Übelkeit.
    Er erinnerte sich an die Feststellung des Bocors: » Ich hoffe, das war es wert.«
    Er schaute zu den Sternen auf und höhnte ihnen eine Herausforderung entgegen. Versucht doch, mich jetzt noch aufzuhalten, dachte er. Und wenn es mich Jahre kosten wird. Ich weiß jetzt, dass es wahr ist. Es kann vollbracht werden. Ja – selbst wenn ich ein Dutzend Indianer hätte töten lassen müssen, ein Dutzend weiße Männer, ein Dutzend Freunde … das wäre es immer noch wert gewesen.

Buch 1
    Wellen und Wind sind, was sie sind; eure Schiffe kommen damit zurecht oder sinken.
    Jack Shandy

Kapitel 1
    John Chandagnac hielt sich an einem der straffen, nach oben führenden Seile fest, lehnte sich weit über die

Weitere Kostenlose Bücher