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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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hinunter und verschwand unter Deck.
    » Für einen gepressten Mann bist du ziemlich geschickt mit dieser Kanone umgegangen«, bemerkte Skank hinter Shandy. » Du Hurensohn von einem Verräter.« Shandy hörte ihn ausspucken.
    Das Blut schoss Shandy in den Kopf, als er sich an den Tag erinnerte, an dem Skank Jim Bonny verprügelt hatte, um Shandy vor einem – realen oder imaginären – magischen Angriff zu retten, und er wollte sich jetzt zu Skank umdrehen und ihn anflehen, sich an die Umstände seiner Rekrutierung vor dreieinhalb Wochen zu erinnern … Aber nach einem Moment des Bedenkens sagte er nur leise zu dem nächsten bewaffneten Matrosen: » Darf ich noch einen Schritt vortreten?«
    » Aye«, antwortete der Matrose. » Langsam.«
    Shandy tat es und hörte, wie die Piraten hinter ihm mürrisch darüber stritten, ob er ein verräterischer Feigling sei oder nur ein pragmatischer. Über der Steuerbordreling kam das zurückkehrende Beiboot des Schiffes in Sicht, und er kniff die Augen zusammen und versuchte gegen die von den nassen Ruderblättern widergespiegelte Sonne festzustellen, ob es tatsächlich Beth Hurwood war, die in sich zusammengesunken im Heck saß.
    Der Kapitän hob sein Teleskop wieder ans Auge und musterte das Boot. » Es ist niemand namens Elisabeth«, sagte er trocken.
    Verdammt, dachte Shandy, dann ist sie immer noch bei ihnen. Warum zur Hölle war sie nicht auf die Idee gekommen, über Bord zu springen? Nun, es ist nicht länger meine Angelegenheit – es ist die Aufgabe von Leuten wie diesem Burschen oder irgendeinem anderen Marinekapitän, sie zu retten. Ich muss nach Haiti. Und vielleicht führen Friend und ihr Vater auch gar nichts Böses im Schilde.
    Er grinste trostlos über die ignorante Naivität dieses Gedankens; und dann gestattete er sich zaghaft und hübsch nacheinander die Erinnerung durchzugehen, die er an die Geschichten über Schwarzbart hatte: Zum Beispiel wie der Mann beschlossen hatte, dass seine Mannschaft davon profitieren würde, wenn sie eine gewisse Zeit in » unserer eigenen Hölle« verbrachte, und so hatte er alle unter Deck gehen lassen, dort gutgelaunt eine Anzahl von Töpfen mit Schwefel angezündet und mit vorgehaltener Pistole jeden daran gehindert, wieder zu gehen, bevor die Hälfte der Mannschaft bewusstlos war und zu ersticken drohte. Und er selbst war natürlich der Letzte gewesen, der wieder an die frische Luft hinausgegangen war … Damals hatte man es einfach als ein weiteres Beispiel für seine barbarischen Launen angesehen, aber später war die rituelle Natur der Maßnahme offenkundig geworden, als ein betrunkener, indiskreter Bocor angedeutet hatte, es sei eine notwendige Erneuerung von Schwarzbarts Status als Hunsi Kanzo gewesen. Das Ganze, so meinte dieser Bocor, sei allerdings nicht wirklich erfolgreich gewesen, weil keiner aus der Mannschaft tatsächlich dabei gestorben sei. Und Shandy entsann sich Schwarzbarts angeblichen Umgangs mit einem wirklich gefürchteten Loa, dem Baron Samedi, dessen Domäne der Friedhof war und dessen geheime Drogue ein langsam schwelendes Feuer sein sollte. Dies sei der Grund, aus welchem Schwarzbart stets entzündete, langsam glimmende Lunten in sein Haar und seinen vollen Bart flocht, bevor er sich auf eine gefährliche Unternehmung einließ. Und er hatte von den oberflächlich betrachtet wahnsinnigen, aber unter Gesichtspunkten der Hexerei erklärbaren Verwendungszwecken gehört, denen der legendäre Pirat jede bedauerliche Frau zuführte, mit der er sich ehelich verbinden konnte … Und Shandy dachte an Beth’ vergeblichen Mut und die ihr angeborene fröhliche Art, die sie vor dreieinhalb Wochen auf dem Poopdeck der Carmichael gerade einmal für eine halbe Stunde hatte ausleben können.
    Seekadett Nourse kam mit einem gebundenen Journal oder Tagebuch von unten zurück und stieg zur Poop hinauf, wo der Kapitän stand.
    » Danke«, sagte der Kapitän, nahm ihm den Band ab und klemmte sich das Teleskop unter den Arm. Er blätterte einige Minuten lang in den Seiten, dann schaute er mit etwas weniger Strenge in seinem zerklüfteten Gesicht auf Shandy hinab. » Sie erwähnen tatsächlich einen John Chandagnac, der in Dienst gepresst wurde.« Er blätterte eine weitere Seite um. » Wann und wo seid Ihr an Bord der Carmichael gegangen?«
    » Am Morgen des dritten Juni, am Batsford Company Dock in Bristol.«
    » Und … mal sehen … Welches Schiff ist mit Euch durch den St.-Georgs-Kanal gesegelt?«
    » Die Mershon. Sie ging

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