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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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nach Passage von Mizen Head auf Nordkurs, weil sie Galway und die Aran-Inseln anlaufen sollte.«
    Für einen Moment ließ der Kapitän das Buch sinken und starrte Shandy prüfend ins Gesicht. » Hmm …« Er schlug wieder die Seite auf, die er zuvor gelesen hatte. » Ja, und die Überlebenden der Carmichael erwähnen den Angriff durch Chandagnac auf Davies … Eine recht mutige Tat, wie es scheint …«
    » Ha«, erwiderte Skank geringschätzig. » Der Angriff hat ihn überrascht. Davies hatte nicht einmal hingeschaut.«
    » Danke, junger Mann«, sagte der Kapitän mit einem frostigen Lächeln zu Skank. » Du hast die Behauptung dieses Mannes hinreichend bestätigt. Mr. Chandagnac, Ihr dürft Euch von diesen Räubern entfernen und hier herüberkommen.«
    Shandy seufzte und entspannte sich. Er begriff, dass er wochenlang angespannt gewesen war, ohne es zu bemerken, während er unter Menschen gelebt hatte, für die wilde Gewalttätigkeit eine Selbstverständlichkeit war. Er stieg zum Poopdeck hinauf. Die Offiziere, die dort standen, machten ihm Platz und musterten ihn neugierig.
    » Hier«, sagte der Kapitän und reichte ihm das Teleskop. » Schaut, ob ihr unseren Schwimmer identifizieren könnt.«
    Shandy blickte auf das Boot hinab, das auf dem blauen Wasser näher herangeschaukelt kam, und brauchte nicht einmal durch das Glas zu sehen. » Es ist Davies«, erklärte er leise.
    Der Kapitän drehte sich wieder zu dem jungen Seekadetten um. » Lasst diese Männer, wo sie sind, Mr. Nourse«, sagte er und deutete auf den entmutigten Haufen um das Gangspill, » aber lasst Davies zu mir in die große Kajüte bringen. Mr. Chandagnac, ich möchte, dass Sie ebenfalls zugegen sind, um Davies’ Aussage zu bezeugen.«
    Oh, Gott, dachte Shandy. » Jawohl, Kapitän.«
    Der Kapitän ging auf den Niedergang zu, dann hielt er noch einmal inne. » Es werden noch einige Minuten vergehen, bevor man den Gefangenen an Bord bringt, Mr. Chandagnac. Der Proviantmeister könnte Euch einige Kleider aus dem Magazin geben, wenn Ihr gern aus diesem … Kostüm herauswollt.«
    » Vielen Dank, Kapitän, das wäre mir sehr recht.« Während er unter all diesen Offizieren stand mit ihren nüchternen, blauen Uniformen, ihren Messingknöpfen und Epauletten, hatte Chandagnac begonnen, sich in seinen roten Kniehosen und dem goldverzierten Gürtel wie ein Clown zu fühlen – obwohl diese Kleidung auf New Providence keineswegs unpassend gewesen war.
    Hinter und unter sich hörte er Skanks angewidertes Kichern.
    Ein Weilchen später – er fühlte sich viel zivilisierter in einem blaukarierten Hemd, Kniehosen aus Segeltuch, grauen Wollstrümpfen und einem Paar Schuhen – saß Shandy an einem Ende eines langen Tisches in der großen Kajüte und schaute aus dem Heckfenster, dessen verbleite Butzenscheiben geöffnet worden waren, um die Brise in die Kajüte zu lassen. Zum ersten Mal fragte er sich, was er tun würde, nachdem er seinen Onkel vor Gericht gebracht hatte. Würde er nach England zurückkehren und sich eine neue Stellung als Buchhalter suchen? Er schüttelte zweifelnd den Kopf. England war kalt und sehr weit entfernt.
    Dann – und der Gedanke beschwichtigte ein Schuldgefühl, das ihn quälte, seit er den Schwimmer als Davies identifiziert hatte – wusste Shandy, was er tun würde: Er würde hart arbeiten, um dafür zu sorgen, dass sein Onkel sobald wie möglich verhaftet, verurteilt und eingekerkert wurde. Dann würde er die gewiss beträchtliche Summe Geldes benutzen, die ihm von Rechts wegen zufallen würde, um Beth Hurwood zu retten. Er sollte in der Lage sein, ein Boot zu mieten, einen mit der Karibik vertrauten Kapitän und eine zähe, beutehungrige Mannschaft anzuheuern …
    Er hörte Stiefelschritte hinter der Trennwand, dann wurde die Tür geöffnet, und zwei Offiziere führten Philip Davies in die Kajüte. Man hatte dem Piratenkapitän die Arme hinter dem Rücken gefesselt und die linke Seite seines von der See nassen Hemdes glänzte von der Schulter bis zur Taille von Blut. Sein halb durch verheddertes, nasses Haar verborgenes Gesicht war bleicher und ausgezehrter als gewöhnlich – aber er grinste, während er sich auf einen Stuhl manövrierte, und als er Shandy bemerkte, zwinkerte er ihm zu. » Wieder fein ausstaffiert, was?«
    » Das ist richtig«, sagte Shandy gelassen.
    » Keine Blessuren? Der Teint makellos?«
    Shandy antwortete nicht. Die beiden Offiziere setzten sich links und rechts von Davies hin.
    Die Tür wurde abermals

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