Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Furcht erwachen

In Furcht erwachen

Titel: In Furcht erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Cook
Vom Netzwerk:
außerdem zwanzig Pfund Bares in seiner Brief‐
    tasche, sein Erspartes vom letzten Semester. Ursprünglich hatte er hundert Pfund auf die Seite legen wollen, aber Bier
    war teuer in Tiboonda, und man hatte hier nur die Möglichkeit, zu trinken oder sich das Hirn wegzupusten.
    Trotzdem nahm er sich vor, das nächste Semester etwas
    vorsichtiger anzugehen. ‹Das nächste Semester!› Der Ge‐
    danke daran machte ihn nervös, ‹das nächste Semester›.
    Sechs Wochen, und ein weiteres Jahr in Tiboonda nahm
    seinen Anfang. Ein weiteres Jahr in diesem Witz von einer Stadt, als Außenseiter unter Leuten, die sich heimisch fühlten in dem öden, furchteinflößenden Land, das sich um
    ihn herum ausbreitete: heiß, trocken und gleichgültig
    gegenüber sich selbst und den Menschen, die es angeblich besaßen.
    Es war besser, nicht darüber nachzudenken. Es war bes‐
    ser, an gar nichts zu denken, abgesehen vom Meer, das in seinen Gedanken wie ein Schatten auftauchte und ihm vorgaukelte, die Hitze abzuwehren, die sich mit glühenden,
    spitzen Fingern durch seinen Schädel in die lebendigen,
    empfindlichen Zellen seines Gehirns bohrten.

    17
    Der Viertel‐nach‐vier‐Zug ließ sich Zeit, in Tiboonda
    anzukommen. Er wurde auch Freitagszug genannt, um ihn
    vom Montagszug zu unterscheiden. Die beiden Züge waren
    die einzige Verbindung Tiboondas mit der Außenwelt,
    sprich Bundanyabba, abgesehen von der Straße, die weder
    bei Regen noch bei Trockenheit befahrbar war, denn die
    Autos blieben im Staub genauso hoffnungslos stecken wie
    im Schlamm.
    Der Freitagszug bestand aus einem Dutzend Güterwa‐
    gen und zwei Waggons für Passagiere. Die Lokomotive war eines jener prächtigen Ungetüme, die man nur in den ab-gelegeneren Gebieten des Commonwealth antrifft und die
    den Lehrer jedesmal an amerikanische Western erinnerte,
    in denen die Indianer einem solchen Gefährt hinter herjagten.
    Noch bevor der Zug zum Stehen kam, konnte er das
    Singen hören. Im Westen singen sie in jedem Bummelzug,
    die Viehzüchter und Minenarbeiter, die Ladenbesitzer,
    die herumziehenden Arbeiter und die Aborigines und
    Mischlinge, die erst in den Vororten schüchtern einstim‐
    men. Einer hat immer eine Mundharmonika dabei, und mit
    verzweifelter, unmelodischer Fröhlichkeit singen sie die
    Songs der amerikanischen Hitparade, die aus dem Netz des
    australischen Rundfunks oder der störungsgeplagten loka‐
    len Radiosender sickern.
    Draußen in den Wüsten, hinter dem Dröhnen und
    Stampfen der alten Lokomotiven, sorgten die banalen
    Worte und abgedroschenen Melodien des modernen Ame‐
    rika dafür, daß die Dingos erstaunt ihre Ohren spitzten und
    damit die Traurigkeit, die das australische Hinterland
    durchdringt, ins Unermeßliche steigerten.
    18
    Die Sänger hatten sich alle im vorderen Waggon ver‐
    sammelt. Der Lehrer stieg ganz hinten ein; er wollte nicht singen. Abgesehen von einem Aborigine, einem Viehhüter
    mittleren Alters mit weißem Haar und weißen Bartstop‐
    peln, war das Abteil leer. Der Mann war ein Vollblut mit den breiten Gesichtszügen seines Volkes; er starrte unablässig aus dem Fenster, als könnte er da draußen in der Prärie
    etwas entdecken, das er noch nicht gesehen hatte.
    Der Lehrer kannte die Prärie, er hatte die Fahrt nach
    Bundanyabba früher schon gemacht und wußte, daß sich
    die Landschaft auf der bevorstehenden sechsstündigen
    Reise so wenig veränderte, daß man glauben konnte, der
    Zug hätte sich keinen Meter vom Fleck bewegt.
    Er hievte seine Koffer ins Gepäcknetz, öffnete das Fen‐
    ster und streckte sich auf einem Sitz aus, die Füße auf die Armlehne gelegt.
    «There is a heart that’s made for you», leierten die
    Sänger.

    «A heart that needs your love divine,
    A heart that could be strong and true,
    If only you would say you’re mine.
    If we should part my heart would break,
    Oh say that this will never be,
    Oh darling please, your promise make,
    That you’ll belong to only me.»

    Das also ist das Schicksal eines Sängervolkes, das schon lange vergessen hat, wie man Lieder macht, dachte der
    Lehrer.
    Als der Zug anfuhr, schloß er die Augen. Das Rattern der 19

    Räder, das Geräusch der Maschine und das disharmonische
    Gejaule der Sänger bildeten einen sinnlosen Rhythmus, zu dem er in den dem Koma verwandten Halbschlaf des Zug-reisenden sank.

    Der Freitagszug schaukelte durch die Prärie. Ungefähr alle fünf Meilen tauchte eine baufällige Farm auf, und der
    Lokomotivführer

Weitere Kostenlose Bücher