In Gedanken bei dir (German Edition)
Abend im Hoffstadt Bluffs
Visitor Center zu Abend essen. Die haben echt tolle Buffalo Burger.«
»Großartig.«
Alex
raschelte mit der Tüte, und Cassie schnappte sie ihm aus der Hand, riss sie auf
und schüttete das Trockenfutter in ihre Hand. Schwungvoll warf sie die ganze
Ladung in ihren Mund. Dann gab sie ihm die Tüte zurück, damit er sich auch
etwas nehmen konnte.
So
wie früher, als hätte sich zwischen ihnen nichts verändert.
Eine
Weile saßen sie schweigend nebeneinander, die Arme um die Knie geschlungen, und
genossen den Anblick des Gipfels und des Flusses und spürten die Wärme und die
Nähe des anderen.
Es
war Jahre her, dass er dieses sanfte, erregende Ziehen in seinem Inneren
gespürt hatte. Dass er sich ihr so nahe gefühlt hatte. Dass er so tief
empfunden hatte. Und es erschreckte ihn ein bisschen.
Summend
wiegte Cassie sich in der warmen Brise hin und her, und er konnte nicht anders,
er streckte die Hand aus und streichelte ihren Nacken, der früher unter einem
langen blonden Pferdeschwanz verborgen war. Sie zog die Schultern hoch und sah
ihn an. »Alex ...«
Er
hob die Augenbrauen. »Ja?«
»Wann
haben wir das letzte Mal miteinander geschlafen?«
Er
wollte schon mit den Schultern zucken, da fragte sie:
»Erinnerst
du dich noch daran, wie’s war?«
Bevor
er antworten konnte, wandte sie den Blick ab. Ihre Augen waren trocken, aber
sie blinzelte, als sei ihr ein Staubkorn reingeflogen.
Alex
wartete ab: Er glaubte, sie wäre jetzt so weit. Cassie wollte mit ihm reden.
Sie
tastete nach seiner Hand auf ihrer Schulter und atmete tief durch. »Alex ...«
Na
klar, ausgerechnet jetzt klingelte sein Satellitentelefon.
Sanft
drückte er ihre Schulter. »Tut mir leid.«
Sie
nickte und winkte ab. Sie wirkte ... ja, sie wirkte plötzlich resigniert und
traurig. »Schon gut.«
Der
Ruf eines Weißkopfadlers ließ Cassie zum Himmel blicken. Während sie seinen
Flug beobachtete und mit einem Zischen eine Flasche Mountain Dew öffnete, nahm
Alex sein Iridium aus der Gürteltasche, zog die Antenne heraus und bog sie um,
sodass die Spitze nach oben zeigte, während er telefonierte. »Hi, Marlee. Was
gibt’s?«
5
Hat Hoffnung ein Verfallsdatum?
Wenn
Nick die Kinderzeichnungen betrachtete, die im Gang des UCSF Medical Centers
hingen, dann wurde er immer traurig. An der kunterbunten Bilderwand gab es auch
ein Bild von Jolie und Nell. Nick konnte sich erinnern, wie die beiden es erst
vor wenigen Wochen gemalt hatten. Als er Jolies Krankenzimmer betrat, hockten
die Mädchen kichernd nebeneinander am Tisch. Jolie drückte ihre mit gelber
Fingerfarbe getränkten Hände auf das Bild, um es zu signieren, Nell reckte ihm
stolz ihre grün glänzenden Hände entgegen. Das Bild, das sie gemeinsam gemalt
hatten, drückte diese Lebensfreude aus, die er an jenem Tag gespürt hatte, die
Hoffnung, dass beide ihr Lebensziel erreichen könnten, sechs Jahre alt zu
werden. Oder sieben. Oder acht.
Das
Bild, das mit Klebestreifen an der Wand befestigt war, zeigte zwei Figuren mit
weit ausgebreiteten Armen und fliegenden Zöpfen, die Hand in Hand durchs Leben
tanzten.
Seine
Kehle wurde ihm eng, und er musste schlucken.
Nell
war gestorben. Und Jolie ...
Der
Schmerz in seiner Brust wurde unerträglich. Mit Tränen in den Augen ging er
weiter zum nächsten Bild.
Finn
hatte es gemalt. Die Figur aus roten Filzstiftstrichen stellte einen kleinen
Jungen dar, der haltlos auf dem weißen Blatt schwebte. Sein Gesicht, ein roter
Kreis mit Strichen als Haaren, war panisch verzerrt. Seine Augen waren weit
aufgerissen, der Mund zum stummen Schrei geöffnet. Das Bild erschütterte Nick
zutiefst. Finn hatte seine Angst gemalt. Die Angst vor dem, was in ihm steckte:
Auf seinen kleinen Körper hatte er einen großen schwarzen Punkt gemalt. Das war
der Krebs in seinem Blut.
Das
Bild daneben kannte Nick noch nicht. Es wirkte erstaunlich reif für ein Kind.
Ein neuer kleiner Patient auf der Station? Am unteren Bildrand suchte Nick nach
dem Namen und dem Alter des Kindes. Ihm stockte der Atem.
Jolie
Lacey, bald sechs Jahre alt.
Es
war ihre Kinderschrift, ja klar. Aber das Bild? Es wirkte so gelassen, so
abgeklärt. Das Bild, das Jolie mit ihrem Farbmalkasten gemalt hatte, zeigte ein
kleines Mädchen mit blonden Zöpfen, ohne Kopftuch. Das hübsche Kleid bauschte
sich im warmen Sommerwind, als das Mädchen ausgelassen lachend über eine
blühende Wiese rannte. Ein finsterer Wald, unglaublich
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