In Gedanken bei dir (German Edition)
kämpfte gegen die Tränen an. Und gegen die Bilder von
Spielzeug, das mit antiseptischer Lösung abgewischt wurde, und von einem Teddy,
der in einen Vakuumbeutel eingeschweißt wurde und der nachts knisterte und
pikste, wenn Jolie ihn im Schlaf umarmte. Wenn die Kleine wieder eine Chemo
durchstehen musste, konnte jeder Keim sie töten. Nick holte tief Luft. »Es ist
ihr Herzenswunsch, dass sie Alex sieht, bevor sie stirbt.«
Karen
senkte den Kopf. »Ich brauche Cassies Zustimmung, wenn ich Jolie behandeln
soll. Wir wollten ihre Kleine nicht länger quälen, darin waren wir uns gestern
Abend einig.«
Nick
wollte schreien, aber mehr als ein ersticktes Flüstern brachte er nicht heraus:
»Aber Jolie muss wach sein, wenn Alex kommt!«
»Ja.«
»Wenn
es nicht anders geht, dann muss Jolie ...«
»Nick,
du verstehst mich nicht! Cassie ist ihre Mutter. Aber du bist nicht ihr Vater.
Du bist ein wundervoller Daddy, und Jolie hat dich sehr lieb. Aber du kannst
das nicht entscheiden.«
Verzweifelt
lehnte er seinen Kopf gegen den Sitzsack, schloss die Augen und atmete tief
durch. Sein Herz klopfte wie irre, seine Lunge schmerzte, als wäre er zu
schnell aus großer Tiefe aufgetaucht.
»Ich
muss mit Cassie reden«, sagte Karen eindringlich. »Aber ich kann sie nicht
erreichen. Weder über Handy noch über Skype. Auch auf Mail und SMS reagiert sie
nicht.«
»Sie
ist bei Alex«, presste er hervor.
»Nick,
ich muss in den nächsten Stunden mit ihr sprechen.«
Woher
nahm Karen diese innere Stärke? Ihm fehlte im Augenblick dieser Kampfgeist. Er
fühlte sich, als wäre er auf Standby geschaltet. »Ich werde es in den Hotels
und Resorts versuchen«, versprach er, und er wusste, er klang resigniert. »Und
in den Visitor Centers, den Gift Shops und den Restaurants.«
»Sie
soll mich sofort anrufen.«
»Ich
sag’s ihr.«
»Oder
Alex. Er kann das auch entscheiden.«
Er
nickte stumm, dann rappelte er sich mit schmerzenden Knien aus dem Sitzsack
auf.
Tröstend
legte Karen die Hand auf seinen Arm. »Nick, es tut mir leid.«
Er
zwang sich zu einem Lächeln. »Schon gut, Karen. Vielleicht bin ich nicht der
Vater, nach dem sie sich sehnt. Aber ich bin immer für sie da. Ich spiele mit
ihr, ich lese ihr vor, ich kuschele mit ihr, ich tröste sie, wenn sie weint,
und ich liege neben ihr im Bett, bis sie einschläft. Weißt du, Karen, das
Fahrrad fahren habe ich ihr beigebracht. Nicht Alex.«
»Ich
weiß«, flüsterte Karen. »Geh zu ihr, Nick. Sie braucht dich.«
Im Gang, auf dem Weg zu Jolies Krankenzimmer,
klingelte sein Handy. Die Nummer auf dem Display kannte er nicht. Sein erster
Gedanke: Cassie meldete sich aus einem 7-Eleven oder einer Tankstelle, weil ihr
Handy keinen Empfang hatte.
Seine
Finger zitterten, als er das Gespräch annahm, und beinahe hätte er das
Smartphone fallen gelassen. »Nick Talcott.«
»Janelle
Gillingham. National Geographic .«
»Hi.«
Die
Enttäuschung, die Nick den Atem raubte, war ihm wohl anzuhören, denn sie
fragte: »Wen hatten Sie erwartet?«
»Cassie.«
»Oh.«
Janelles Stimme klang verhalten.
»Was
kann ich für Sie tun, Ms Gillingham?«
»Dr
Talcott ... Nach unserer gestrigen Tauchexpedition zum Wrack ... Ich wollte
fragen, ob Sie schon mit Dr Lacey über das Foto gesprochen haben ...«
»Das
Foto?«
»Dr
Talcott und Dr Lacey, die im kurzen Tauchanzug mit nassen Haaren nacheinander
über die Reling an Bord Ihres Forschungsschiffes klettern. Sie wissen schon: Mr
und Mrs Boss.«
»Nein,
ich hatte noch keine Gelegenheit, mit ihr darüber zu reden.«
»Darf
ich sie anrufen?«
»Dr
Lacey ist nicht in San Francisco.«
»Ah,
okay. Wann kommt sie zurück?«
»Das
weiß ich nicht.«
Funkstille.
»Ms
Gillingham, ich ...«
»Das
Foto ist keine gute Idee«, vermutete sie feinfühlig.
»Nein.«
»Wegen
Jolie?«
»Ja.«
»Wie
geht’s ihr?«
Jetzt
sprach Nick es zum ersten Mal aus, und es fühlte sich an, als würde ihm das
Herz herausgerissen. »Sie stirbt.«
Alex sah Cassie an, während er über das
Satellitentelefon mit Marlee sprach, und hob den Zeigefinger: Warte kurz!
Sie
stellte die Flasche Mountain Dew weg und winkte ab: Lass dir Zeit!
Er
nickte ihr zu, während er Marlee zuhörte. »Nein, ich kann heute Abend nicht zu
dir nach Portland kommen. Tut mir leid.«
Mit
den Händen in den Taschen ihrer Jeans wandte Cassie sich ab und ging ein paar
Schritte, um sich den Mount St Helens anzusehen. Links neben ihr fiel die
steile Böschung aus
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