In Gedanken bei dir (German Edition)
fallen. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
Cassie
holte den Umschlag aus der Tasche ihrer Jeans und schob ihn über den Tisch.
Nick
öffnete ihn, zog die Glückwunschkarte heraus und betrachtete sie. Auf der
Vorderseite war ein schlafendes Baby abgebildet. Daneben stand in geschwungener
Schreibschrift: Ein Kind ist Liebe, die man sehen kann. Wünsche und Träume,
die man im Arm halten kann. Hoffnungen und Gefühle, die man behüten und
beschützen kann. Ein Kind ist ... Staunen.
Nicks
Finger zitterten, als er die Karte in den Umschlag zurückschob. »Gehen oder
bleiben«, flüsterte er, und er klang unendlich traurig.
Cassie
legte die Arme um ihren Bauch und wiegte sich sanft hin und her. Was sollte sie
dazu sagen, das nicht albern oder banal klang? Gefühllos. Charakterlos. »Alex
und ich erwarten ein Kind, und ich hoffe, dass du dich mit uns freust.« Oder:
»Alex und ich lieben uns noch immer, und wir wollen zusammenbleiben, um für
Jolie und das Baby eine Familie zu sein. Bitte, Nick, lass uns Freunde
bleiben.«
Ein
wohlklingender Satz, nicht wahr? Stilvoll, harmonisch und angenehm. Eine schöne
Illusion, als wäre dieser vertraute und intime Augenblick nicht ihr letzter.
Aber diese Vorstellung, diese Selbsttäuschung, linderte ein wenig den Schmerz
der Trennung. Denn sie schenkte das Gefühl, es wäre noch nicht alles vorbei und
es gäbe noch Dinge, die sie beide, und nur sie, gemeinsam tun könnten. Es gab
keine einfühlsame Art zu sagen: »Ich liebe Alex mehr als dich. Nick, ich will
dich nicht mehr.«
Nein,
das konnte sie ihm nicht sagen. Denn sie empfand anders. Sie liebte Nick von
Herzen, daran hatte sich nichts geändert.
Nick
hockte schon auf der Stuhlkante, die Ellbogen auf den Knien, die Schultern
angespannt, als er sie eindringlich ansah. Im weichen Licht der Himmelslaternen
schimmerten die Tränen in seinen Augen.
»Loslassen«,
flüsterte er mit erstickter Stimme. Zittrig stieß er den Atem aus, als hielte
sie nur mit Mühe die Tränen zurück. »Das ist am schwersten.«
Bevor
Cassie etwas sagen konnte, das ihn tröstete, und ehe sie seine Hand festhalten
konnte, stieß er seinen Stuhl zurück, sprang auf und ging.
Wie
gelähmt vor Schmerz lauschte Cassie auf seine taumelnden Schritte, auf das
leise Geräusch, mit dem die Tür ins Schloss fiel, auf das verzweifelte
Schluchzen auf dem Bootssteg, das schließlich vom Knattern seines Motorbikes
übertönt wurde. Das Brummen wurde leiser und verstummte.
Mit
Tränen in den Augen dachte sie: Nick hat recht.
Das
Loslassen ist eines der schmerzlichsten Gefühle.
So endete alles, was er sich für sein Leben
erträumt hatte?
In
einem leeren Haus.
Mit
dem Hallen seiner Schritte auf dem Parkettboden, wo es das Getrappel von
Kinderfüßen hätte geben sollen. Mit dem Geruch nach Farbe und
Reinigungsmitteln, wo es nach Spaghetti mit Tomatensauce hätte duften sollen,
die Jolie kochte, nach Cassie und nach ihm. Nach ausgelassener Lebensfreude.
Langsam
ging Nick durch die leeren Räume. Dabei versuchte er sich vorzustellen, wie die
vielen Interessenten, denen Samantha Finley von East Bay Homes das Haus gezeigt
hatte, das alles gesehen hatten.
Was
für ihn ein schmerzliches Ende bedeutete, war für andere ein aufregender
Neuanfang, der erste Schritt in ein neues Leben. Das Paar, das sein Haus
gekauft hatte, hatte einen kleinen Jungen. Er war gerade vier geworden. Wie ein
Wilder war er mit seinem Dreirad durch die Räume gesaust. Und sein
Schwesterchen würde bald geboren werden. Kurz vor Weihnachten, wenn die kleine
Familie sich hier eingerichtet hätte und Nicks Haus zu ihrem Heim geworden
wäre.
Katies
und Jolies Kinderzimmer würden nicht leer bleiben. Sie würden angefüllt sein
mit unbeschwertem Kinderlachen und der sanften Melodie einer Babyspieluhr, mit
Kuscheltieren auf den kleinen Betten und dem Duft von Babypuder und
Seifenblasenlauge. Sie würden angefüllt sein mit Geborgenheit, Hoffnung und
Liebe.
Natürlich
musste Nick an Jolie denken, der es nach der Transplantation immer schlechter
ging. Die Bilder eines kleinen Kindes, das jeden Tag sterben konnte, ließen ihm
keine Ruhe mehr. Wie gern würde er sich an sie als gesundes kleines Mädchen
erinnern – an ihr süßes Gesicht, ihr glückliches Lächeln. Aber er schaffte es
einfach nicht. Der Schock von heute Nachmittag war einfach zu schmerzhaft:
Karen hatte ihm erzählt, dass Finn gestorben war. Batman hatte seinen Kampf
gegen das Böse verloren. Nick
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