In Gedanken bei dir (German Edition)
Arm.
Das
nächste Foto zeigte eine Pumpe und einen Beutel mit einer hochtoxischen
Chemo-Flüssigkeit, deren Namen Cassie nicht aussprechen konnte, ohne zu würgen.
Dann
wurde auf Alex und Jolie übergeblendet, die auf der Isolierstation vor dem Zelt
hockten, jeder mit einem niedlichen Plüschhusky auf dem Schoß. Zwischen ihnen
lag ihr »Expeditionsproviant«: starke Immunsuppressiva. Alex hatte mit ihr seit
der Transplantation »Entdeckungsreise in die Antarktis« gespielt.
Aber
heute Abend, wenn Cassie bei ihr blieb, würden sie mit dem Geländewagen die
afrikanische Savanne durchqueren. In den nächsten fünf Tagen würden sie Löwen
und Elefanten, Nashörner und Giraffen suchen. Die Stofftiere, die Cassie beim
WWF gekauft hatte, lagen alle schon auf der Ladefläche ihres Pickups verstaut.
In der Klinik mussten sie nur noch desinfiziert werden.
Wie
die Moderatorin, deren Stimme jetzt aus dem Off kam, die Überleitung zu Nick
schaffte, bekam Cassie gar nicht mit – sie hatte nicht zugehört. Hatte sie
gesagt, dass Nick Jolies anderer Daddy war? Dass er und Cassie seit zwei Jahren
ein Paar waren und zusammenlebten? Dass sie sich zu dritt gemeinsam um Jolie
kümmerten und dass immer einer von ihnen bei ihr auf der Isolierstation war,
damit sie nicht einen Augenblick allein sein musste?
Wie
Alex war Nick es gewohnt, vor laufenden Kameras Interviews zu seinen Projekten
zu geben. »Wie viel kann ein kleines Kind aushalten? Wie viel Leid, wie viel
Schmerz, wie viel Angst? Wie viel Besorgnis im Blick der behandelnden Ärzte?
Wie viel Furcht in unseren Blicken, wenn Alex, Cassie und ich sie im Arm
halten, ohne mehr tun zu können, als sie zu trösten und ihr Mut zuzusprechen?«
Nick presste die Lippen zusammen. »Ein schreckliches Gefühl, nichts tun zu
können, als ihr den Fieberschweiß abzuwischen und ihre Ekzeme zu streicheln,
damit sie nicht so jucken. Die Unsicherheit, wie es jetzt weitergeht, die
Hilflosigkeit ist für uns nur sehr schwer zu ertragen. Wird Jolie die
Abstoßungsreaktion, die fünf Tage nach der Transplantation viel zu früh und
viel zu heftig beginnt, überhaupt überstehen?« Schnitt, offenbar wegen
aufwallender Gefühle, dann weiter: »Jolie weiß, wie krank sie ist. Und sie hat
Angst, panische Angst. Immer wieder fragt sie Mommy und Daddy, ob sie sterben
muss. Und sie bittet uns, Alex, Cassie und mich, sie nicht sterben zu lassen.
Wir tun, was wir können, um ihr die Zeit auf der Isolierstation so schön und so
angenehm wie möglich zu machen.«
Nick
zögerte, ob er weitersprechen sollte. Er senkte den Blick, atmete tief durch,
dann schaute er wieder in die Kamera:
»Und
ich spüre, dass mein Glück, dieses zerbrechliche Gefühl in meinem Herzen, von
der Vorstellung abhängt, dass Jolie überlebt, dass sie ihren sechsten
Geburtstag feiert, dass sie gesund aufwächst und dass sie sich zu einer starken
und unabhängigen Persönlichkeit entwickelt. Dr Jolie Lacey, die als
Tierschützerin für den WWF arbeitet, oder als Tierärztin in einem Naturreservat
– so stelle ich sie mir vor. Und dafür will ich alles tun, wirklich alles.«
Cassie
legte ihre Hand auf Nicks Knie und streichelte ihn mit dem Daumen. Er legte
seine Hand auf ihre und schob seine Finger zwischen ihre. Eine sehr intime
Geste.
»Jolie
ist von Liebe umgeben, von Geborgenheit und von Hoffnung auf Genesung«,
kommentierte die Moderatorin aus dem Off. »Für Jolies Mommy und ihre beiden
Daddys haben diese schweren Tage nur einen Sinn: Ihre Kleine so viel möglich
und so lange wie möglich liebzuhaben.«
Die
Sprecherin wurde wieder eingeblendet. Sie blickte fest in die Kamera, und ihre
Stimme war warm:
»In
den letzten Wochen gab es viele Reaktionen auf unserer Website, aber auch auf
help-jolie.com. Tausende Kommentare wurden bisher gepostet, ebenso viele Mails
geschrieben. Unser erster Beitrag A Dying Wish , der wenige Stunden nach
unserer Sendung auf Youtube erschien, hat bereits mehr als eine Million
Zuschauer und eine stündlich steigende Zahl von Gefällt-mir-Klicks. Eine
überwältigende Resonanz! Retten Sie Leben und spenden Sie ...«
Cassie
zog ihre Hand unter Nicks hervor und schaltete mit der Fernbedienung den
Fernseher aus.
Dichte Nebelschwaden schwebten vorbei, als
Cassie wenig später mit den Tellern auf die Veranda hinaustrat.
Überrascht
blieb sie stehen.
Während
sie in der Küche das Sashimi vorbereitet hatte, hatte Nick ziemlich
stimmungsvoll den Tisch gedeckt. Auf der Website eines Luxus-Resorts
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