In glücklichen Umständen
Schneenacht.
«Ich übernehme den Stall», schlug Ben vor. Ich nickte. Ich wollte die Zufahrt und die Vorderseite des Hauses absuchen, weil ich befürchtete, Pearl hätte trotz der spartanischen Diät, die sie bei den Pawleys erwartete, den Heimweg angetreten. Es schien ohnehin aussichtslos zu sein. Ich konnte kaum die Ecken und Spalten erkennen, in denen ein kleiner Hund Zuflucht suchen würde. Tränen stachen meine Augenlider von innen, und ein plötzlicher Windstoß um die Hausecke stach sie von außen. Es bedurfte schon einer körperlichen Anstrengung, um einen gestiefelten Fuß zu heben und ein Stück weiterzubewegen, ehe man ihn wieder senken konnte. Die verbrauchte Energie half immerhin, mich warm zu halten. Es hätte beinahe Spaß machen können, wenn nicht so schrecklich viel von dieser Suchaktion abgehangen hätte.
Auch auf der vorderen Veranda war nichts. Mir wurde fast übel vor Enttäuschung. Ich stellte mir vor, die hochträchtige Mopsdame hätte sich, sobald sie bemerkte, wie wenig die große Welt draußen zu bieten hatte, irgendwo verkrochen. Ich ging die Zufahrt hinunter, rief sie und stemmte mich gegen Wind und Schnee. Es war, als tauchte ich ein in weißen Samt. Der Himmel schien verschwunden. Nur dann und wann, weit unten, wo die Schnellstraße sein mußte, erblickte ich das kränklich-fahle Gelb von zwei Autoscheinwerfern, das sich einen Weg durch die Elemente suchte. Ich konnte absolut nicht erkennen, wohin ich ging. Ich hätte vom Rand der Welt purzeln können, ohne es rechtzeitig zu merken.
Ich stolperte über Blumenbeete, Backsteineinfassungen, den kleinen Fischteich und zahllose überwinternde Pflanzen und hoffte, mit meinem fortwährenden Rufen ein beruhigendes Bellen auszulösen. Ich wußte nur, daß ich in Richtung Straße ging, als ich plötzlich um ein Haar in ein kleines Auto hineinlief, das zum Tor abbog. Zwei Lichtstrahlen schossen mir in die Augen. Die Polizei? Ein freundlicher Fremder, der Pearl brachte? Barmherziger Gott, bloß nicht die Pawleys! Ich stapfte noch näher und wischte den Schnee vom Autofenster, um hineinzusehen. Bun erwiderte meinen Blick mit halb zugekniffenen Augen, die außer der Nase so ziemlich das einzige waren, was ihre Kapuze freiließ. Wen blickte vom Beifahrersitz an ihrem Zwilling vorbei und runzelte die Stirn unter einer kecken kleinen, selbstgestrickten Zipfelmütze mit Ohrenklappen und Kinnschleife. Dann erkannte sie mich. Sie beugte sich an ihrer Schwester vorbei und machte die hintere Tür auf. Ich hatte keine andere Wahl, als einzusteigen.
«Was tun Sie denn hier draußen, meine Liebe?»
Ich mußte mich blitzschnell zwischen der blamablen Wahrheit und irgendeiner lächerlichen Lüge entscheiden. Ich wählte sofort die lächerliche Lüge.
«Singen», sagte ich wie aus der Pistole geschossen, während ich mich in das Auto zwängte. Vielleicht hatten sie meine Stimme über den Schnee hallen hören. Ich setzte mich auf den Rücksitz wie eine weiße Henne in der Hochmauser.
Bun legte den Gang ein, und wir schlitterten los. «Wir sind auf dem Rückweg von Pensloe und Wensley vom Schnee überrascht worden», plapperte sie, «und ich sagte zu Wendy, warum schauen wir nicht auf eine Tasse Tee bei Ihnen vorbei und plaudern ein wenig, bis es ein bißchen aufklart? Sie haben doch gesagt, wir könnten jederzeit zum Tee vorbeikommen, nicht wahr?»
Ich hatte, ich hatte. Aber nicht heute, um Gottes willen nicht heute!
«Singen?» fragte Wen verwundert.
«Es ist schwierig, im Haus zu üben, die hohen Töne und so. Besonders wenn alle da sind. Sie finden es gräßlich, verstehen Sie. Stört bei der Sportschau im Fernsehen. Hier draußen kann ich schmettern, so laut ich will. Und außerdem ist ja allgemein bekannt, daß die Akustik bei Schnee viel besser ist. Das kommt daher, daß er die Atmosphäre reinigt.»
«Das hab ich gar nicht gewußt», kommentierte Wen mißtrauisch.
«Ich hab nicht mal gewußt, daß Sie singen», sagte Bun mit Nachdruck und hielt an der Hintertür.
«In letzter Zeit komm ich sowieso kaum noch dazu», stammelte ich und spähte voll Angst durchs Seitenfenster in den Schnee, weil sie in ihrer Ahnungslosigkeit die arme Pearl hätten zermalmen können. «Nur, wenn ich mich unbedingt ablenken muß.»
«Sopran? Mutter hatte doch eine hübsche Sopranstimme, nicht wahr, Bunce?»
«Ist es nicht scheußlich», brummelte Bun, aber sie meinte das Wetter. Sie fragte, ob es die Mühe überhaupt lohne, auszusteigen.
«Wenn Sie wollen»,
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