In goldenen Ketten

es kann also nur
wieder abwärtsgehen. Alles, was ich für ihn tun kann, ist, ihm etwas von der
Selbstsicherheit zu verschaffen, die er so verzweifelt braucht. Er ist
wahrscheinlich der am wenigsten liebenswerte Mensch, den ich in meinem ganzen
Leben getroffen habe; aber seine aggressive Arroganz ist nur eine Fassade,
hinter der sich seine Zweifel und Unsicherheiten verbergen.«
    »Bitte, hören Sie auf!« flehte
ich. »Sonst breche ich noch in Tränen aus.«
    »So abgeschmackt es klingt, es
ist wahr.« Er grinste erneut. »Ich praktiziere seit acht Jahren Psychoanalyse,
und er ist der einzige Patient, der mich um meine professionelle Objektivität
bringen kann. Eines Tages werde ich möglicherweise mit dem größten Vergnügen
den nächsten Stuhl ergreifen und ihn auf seinem Kopf zerschlagen.«
    »Hat er nie geheiratet?« sagte
ich.
    »Wann immer es ihn dazu treibt,
kann er sich aus einem ganzen Schwarm schöner und bereitwilliger Mädchen eines
aussuchen«, sagte Shoemaker. »Eine bedeutungsvolle Beziehung zu irgendeinem
anderen menschlichen Wesen, gleich welchen Geschlechts, ist Ray völlig fremd.
Der einzige Grund, weshalb es noch andere Leute auf der Welt gibt, ist der, daß
sie dazu geschaffen sind, ihm zu dienen.«
    »Wie Sie soeben sagten«,
bemerkte ich, »ist er in keiner Weise liebenswert.«
    »Sind Sie immer an den
psychologischen Gegebenheiten Ihrer Auftraggeber interessiert, Mr. Holman ?« fragte er ruhig.
    »Ich habe das Gefühl, er hat
mich engagiert, seine Schwester zu finden, damit sie wieder ins Sanatorium
gesteckt werden kann, wo sie ihn nicht weiter in Verlegenheit bringt«, sagte
ich. »Und das war alles. Ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen interessierten ihn
nicht im allermindesten. Wenn sie tot aufgefunden würde, wäre es ihm egal,
solange niemand dahinterkäme, daß sie seine Schwester ist. Warum beunruhigt ihn
der Gedanke an abträgliche Publicity so sehr?«
    »Ich weiß nicht.« Er zuckte die
Schultern. »Ich darf nicht vergessen, ihn bei unserer nächsten Sitzung daran zu
erinnern.«
    »Weiß Paxton ,
daß seine Schwester ihre Ansicht über ihn im Sanatorium geändert hat?«
    »Ich habe es ihm nicht erzählt,
weil ich nicht sicher war, daß der Sinneswandel von Dauer sein würde«, sagte er
vorsichtig. »Die LSD-Trips haben Carmens Psyche verändert; außerdem konnte es
sich auch nur um eine Überkompensation für ihr Schuldgefühl darüber gehandelt
haben, daß sie Mitford niedergestochen hatte. Ein Psychoanalytiker ist wie eine Elefantin , die vermutet, daß sie schwanger ist —
beide müssen ungeheuer lang warten, bis sie Gewißheit haben.«
    »Reizend«, sagte ich, während
ich aufstand. »Danke für die Karussellfahrt, Doktor. Es hat Spaß gemacht, sich
immer im Kreis zu drehen, auch wenn mich das nicht weitergebracht hat.«
    »Die wahrscheinlichste Lösung
Ihres Problems liegt darin, Mitford zu finden«, sagte er geschmeidig. »Finden
Sie ihn, dann besteht eine gute Chance, daß Sie auch Carmen finden werden. Das
ist so offensichtlich, daß Sie längst daran gedacht haben müssen, bevor Sie vor
einer Viertelstunde in meine Praxis kamen; aber Sie haben sorgfältig vermieden,
es zu erwähnen. Ich frage mich, warum?«
    »Wenn es jetzt zu einer Analyse
kommt, Doktor, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie die Rechnung an meinen
Auftraggeber schickten«, sagte ich.
    »Das ist reine Spekulation, Mr. Holman .« Er kratzte sich an seinem dünn behaarten
Kopf und brummte befriedigt. »Sie haben allzu scharf nach einer Alternative für
Mitford Ausschau gehalten — wie zum Beispiel Tyler Warren — und das reizt meine
Neugierde, den Grund zu erfahren?«
    »Angenommen, ich würde Ihnen
erzählen, daß ich Mitford bereits gefunden habe?« sagte ich kalt. »Tot und mit
einer großen Schere im Rücken.«
    Sein Gesicht wurde unter der
tiefen Sonnenbräune blaß. »Ich möchte annehmen, das ist ein armseliger Scherz«,
murmelte er, »den ich vergessen habe, sobald Sie aus meiner Praxis verschwunden
sind.«
    »Ich bezeichne mich als
Industrieberater und bin Inhaber einer Privatdetektivlizenz«, sagte ich. »Wenn
ich diese Lizenz behalten möchte, bin ich verpflichtet, es der Polizei
mitzuteilen, wenn ich eine Leiche gefunden habe. Aber, wie Sie schon sagten —
ich gehöre einer überaus unmoralischen Branche an, bei der ich, sofern ich
meinen Auftraggeber nicht allem voranstelle, innerhalb eines Monats arbeitslos
bin. Nur wird früher oder später jemand Mitfords Leiche finden und der Polizei
Bescheid