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In Gottes Namen. Amen!

In Gottes Namen. Amen!

Titel: In Gottes Namen. Amen! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Rich
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Minuten nervenaufreibend piepte. Die Intervalle waren so getaktet, dass sie maximale Genervtheit gewährleisteten: Das Piepen setzte jeweils wenige Sekunden ein, nachdem die Anwesenden das letzte Mal gerade vergessen hatten.
    Vince hatte im Vorhinein gewusst, welche Anwälte der Sitzung beiwohnen würden, und hatte diese während der vergangenen zwei Tage ausgiebig gequält. Als sie in dem kochend heißen Bunker eintrafen, waren ihre Nerven bereits zerrüttet und ihre Geduld erschöpft. Von den sechs Gewerkschaftsanwälten litten fünf an einer Grippe, drei hatten eingewachsene Zehennägel und zwei ein noch nicht diagnostiziertes Pfeiffer’sches Drüsenfieber. Der anderen Seite hatte er eine Mischung aus Sonnenbrand, Fieberbläschen und Ohrenentzündungen spendiert. Der Schlichter, eine meistens gut aufgelegte Person, schwieg die komplette Sitzung über. Vince hatte ihm einen so entsetzlich schweren Tripper verpasst, das er jedes Mal, wenn er aufs Klo ging, in die eigene Krawatte biss, um nicht zu schreien.
    Nach sechsunddreißig Stunden war man kein Stück vorangekommen. Jede einzelne Debatte führte zu nichts außer kindischem Gezanke.
    Als ein Streik unvermeidbar schien, rappelte sich der erste Anwalt der Gewerkschaft auf.
    »Also?«, rief er mit von einer bakteriellen Infektion heiseren Stimme. »Was wollt ihr? Werdet ihr unseren Forderungen zustimmen oder was?«
    Der erste Anwalt der Metropolitan Transportation Authority blickte entkräftet auf. Seine Augen waren wegen seiner Allergien wässrig. Er wollte soeben antworten, als ihm eine Pollenwolke in die Nase trieb. Er nieste ein paarmal, erholte sich und nieste erneut, eine ganze Minute lang. Als der Anfall endlich vorüber war, stand er auf, hielt sich die Fäuste über den Kopf und stieß einen wilden, ungehemmten Schrei aus. Dann setzte er sich wieder und vergrub das Gesicht in den Händen.
    Der Schlichter rutschte betreten auf seinem Platz herum. »Okay«, sagte er. »Ich denke, wir können uns einstweilen darauf einigen, dass keine Einigung erzielt werden konnte.«
    Erde – zwei Tage bis zum Weltuntergang
    Laura lag auf dem eisigen Bürgersteig, benommen und orientierungslos. Sie brauchte ein oder zwei Sekunden, um zu kapieren, was los war: Sie war auf einer gefrorenen Pfütze ausgerutscht und hatte sich auf die Nase gelegt.
    Laura war eine ungeschickte Person und fiel recht oft. Trotzdem war sie stets völlig verdattert. Fallen hatte etwas so Erschreckendes. Im einen Moment hatte man seine Körperteile vollständig unter Kontrolle, den Bruchteil einer Sekunde später ruderte man schon durch die Luft, zuckend wie eine zerklatschte Schnake.
    Sie entdeckte einen gelben Bus und nahm entsetzt zur Kenntnis, dass sie vor einer Schule hingefallen war. Sie hörte, wie die Kinder sie auslachten, und als sie aufblickte, merkte sie, dass sie ihren Sturz nachäfften – mit wild rudernden Armen, verzogenen Gesichtern, herausgestreckten Hinterteilen. Eine Lehrerin schrie sie an, sie sollten aufhören, aber ihre Darbietungen waren ziemlich gut, und es dauerte nicht lang, bis sie selbst lachen musste.
    Laura rappelte sich so würdevoll wie möglich auf und floh. Sie ging so schnell, dass sie erst fünf Straßenecken weiter bemerkte, dass ihre Hosentasche aufgerissen war und sie ihre Wohnungsschlüssel verloren hatte.
    Verzweifelt ging sie denselben Weg noch einmal zurück, suchte den Boden nach etwas Glänzendem ab. Doch plötzlich ging mitten im Oktober ein Schneesturm nieder, überzog die Stadt mit Schnee. Die Schlüssel waren weg. Sie konnte nichts tun, als den Hausmeister anzurufen und zu warten, dass er sie einließ.
    Sie saß auf den Stufen vor dem Haus, las zum Zeitvertreib ihre alten SMS . Cliff hatte ihr vor wenigen Tagen eine kryptische Nachricht geschickt: »New York ist eine seelenlose Stadt, voller berufstätiger Zombies. Ich muss zurück zu meinen Wurzeln, meine Seele reinigen.« Sie verstand so gut wie nichts davon, glaubte aber, dass sie ihn wohl eine Weile nicht mehr sehen würde.
    Sie überlegte gerade, ob sie antworten sollte, als sie ein vertrautes Niesen hörte. Sie blickte auf und lachte überrascht.
    »Sam? Bist du das?«
    »Laura! Oh Gott, so ein Zufall!«
    Der Schneesturm tobte seit Stunden, doch als Sam über die vereiste Straße schlurfte, schien es aufzuklaren. Als er vor ihr stand, hatte es aufgehört zu schneien, und zum ersten Mal an jenem Tag kam die Sonne heraus.
    »Was für ein verrückter Zufall!«, wiederholte er. »Wenn’s keinen

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