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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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versperrt mir sofort den Weg. »Da Sie nun einmal da
sind, Shana, nehme ich an, daß Sie auch den Rest der Nacht hier
werden verbringen müssen. Ich mache das Sofa zurecht, mehr
können wir Ihnen leider nicht bieten. John, bitte hol Decken und
Laken aus der Kammer.«
    John trollt sich, immer noch schmollend. Wirkt nicht sehr
attraktiv bei einem Mann seines Alters. Maggie steht zwischen mir und
dem Baby, dem Laurie immer noch das Hinterteil tätschelt;
plötzlich hört es auf zu schreien.
    »Was genau wollen Sie eigentlich hier, Shana?« erkundigt
sich Maggie.
    Eine gute Frage. Ich habe keine Antwort. Hierher zu gelangen war
eine lockende Aufgabe, etwas, das… aber nun, da ich es geschafft
habe, ist der Reiz beim Teufel. Wozu muß ich denn wirklich mit
Nick reden? Unsere Pläne sind Vergangenheit. Sie haben
funktioniert, und Nick brachte die Ermittlungen ins Rollen, wie er es
gewünscht hatte – sowohl in krimineller als auch in
wissenschaftlicher Hinsicht. Und das alles so öffentlich,
daß es jetzt nicht mehr gestoppt werden kann. Nick und ich, wir
haben unsere Rollen gespielt. Was also tue ich wirklich hier?
    Außer mir Depressionen holen?
    Ich lasse Maggie das Sofa richten, lege mich hin und schließ
die Augen. Maggie bleibt noch auf, macht ein Riesentamtam um ihr
Enkelkind und beobachtet mich heimlich, aber als ich so tue, als
würde ich schlafen, geht sie schließlich doch zurück
ins Bett. Ich setze mich auf. Auf der anderen Seite des Zimmers sitzt
Laurie ganz klein in einem riesigen alten Schaukelstuhl aus Holz und
gibt dem Baby die Brust.
    »Wie kommt’s daß Sie das können?« platze
ich heraus. »Sie haben doch nie ein Kind gekriegt!«
    Laurie lacht. »Nein. Aber es gibt künstliche Hormone,
die den Laktationsprozeß in Gang bringen. Und meine Milch geht
durch einen Filter, um die synthetischen Schadstoffe zu entfernen.
Sehen Sie?«
    Ich kann nicht anders, auch wenn ich Gänsehaut dabei bekomme.
Ich muß einfach sehen, was sie da an der Brust hat. Also stehe
ich vom Sofa auf und blicke hinab auf das Baby, das sie im Arm
hält. Zwischen ihrer Titte und dem Mund des Babys befindet sich
eine Art Apparat, eine gläserne Halbkugel umschließt ihre
Brustwarze, und das Baby hat einen Gummisauger im Mund. Der Apparat
ist ein flaches Kästchen, gefüllt mit irgendwelchem rosa
Zeug , durch das die Milch hindurchgeht, sobald das Baby
saugt.
    Es hat die Augen geschlossen, obwohl sein kleiner Mund sich
ordentlich anstrengt. Jetzt, wo es aufgehört hat zu schreien,
kann ich sein Gesicht besser sehen, und ich weiß auf der
Stelle, was damit nicht stimmt.
    Es ist nicht das, was ich gedacht habe.
    »Wir haben ihn erst seit drei Wochen«, sagt Laurie leise
und berührt zärtlich die Wange des Babys, »und ich
kann mir das Leben ohne ihn schon nicht mehr vorstellen. Er braucht
uns so sehr.«
    »Sie sind glücklich«, sage ich versuchsweise.
    »O ja, so glücklich! Das wollte ich immer… Ich habe
das gebraucht… Sehen Sie ihn nur an… ist er nicht
wundervoll?«
    Sie meint das wirklich ernst. Ich sehe das Baby an und denke: Vielleicht wäre ein Schimpanse besser gewesen. Das denke
ich ehrlich. Bei einem Schimpansen würde man nicht erwarten,
daß er erwachsen wird, oder? Man würde nicht erwarten,
daß er sprechen lernt und lesen, und daß er ganz
aufgeregt wird, weil wir Oma besuchen, also würde man nicht
enttäuscht sein. Aber bei einem Kind wie diesem hier… ist
es Laurie eigentlich bewußt, daß von diesem Baby nie
irgendwelche Kleinkinder-Niedlichkeiten zu erhoffen sein werden,
nicht mal die Niedlichkeiten, die von einem Schimpansen zu erwarten
sind? Daß sich dieses Baby wahrscheinlich nicht einmal
selbständig wird aufsetzen können, daß es nicht wird
sprechen können oder gehen oder heranwachsen zu einem Sohn, der
Dinge tut, auf die man stolz sein kann? Natürlich weiß es
Laurie. Wenn ich es weiß, weiß sie es auch. Sie hat
dieselben Bilder im TV gesehen, die flachen Gesichter, die weit
auseinanderstehenden Augen und alles andere, was mit einem fehlenden
Verstand Hand in Hand geht. Die Bilder sind überall, weil immer
mehr solche Babies geboren werden, bei denen das halbe Hirn nicht
funktioniert. Oder das ganze. Und daran sind die synthetischen
endokrinen Disruptoren schuld, sagt Nick.
    Die meisten dieser Kinder werden abgetrieben, bevor sie zur Welt
kommen. Aber dieses hier nicht. Und Laurie und John haben es
adoptiert, weil es ihre einzige Chance ist, Eltern zu sein.
    Zum erstenmal wird mir klar, was diese

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