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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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der Feuervogel sie vor mehr errettet als nur
vor dem bösen Zauberer – er errettet sie durch die Kraft
seiner älteren, wirksameren und konzentrierteren Magie vor der
Seelenlosigkeit ihrer eigenen Welt.
    »Einige von Strawinskis Werken«, schrieb ein Kritiker
vor langer Zeit, »sind dazu ausersehen, uns zu einer Flucht aus
der Realität zu verhelfen.«
     
    Es ist schon nach Mitternacht, als ich an die Tür von Nicks
Hütte in den Bergen klopfe, und so schwarz draußen, wie
ich es nie für möglich gehalten hätte. Nirgendwo
Lichter – vermutlich schlafen alle –, kein Mond, keine
Sterne. Ich habe noch nie eine solche Finsternis erlebt. Und die
Berge sind ein eigenes Kapitel.
    Die Blockhütte steht ganz allein am Ende eines Waldweges.
Nachdem ich herausgefunden hatte, in welcher Gegend sie sich
befindet, nahm ich den Zug bis in die nächste Stadt und lieh mir
dort einen Wagen. Das war ein teurer Spaß, aber zu diesem
Zeitpunkt konnte mich nichts mehr aufhalten, auch nicht der Umstand,
daß ich keinen Führerschein habe. Ich schob dem Alten
hinter dem Schalter einen Fünfziger rüber. So, wie er meine
Titten anglotzte, hätte ich es auch gratis haben können,
aber ich war einfach nicht in der Stimmung.
    Eine Stunde lang brachte ich mir selber bei, wie man den Wagen
fährt. War nichts dabei, Maschinen machen mir kein
Kopfzerbrechen. Danach ließ ich mir vom Terminal einer
Tankstelle eine Karte der Umgebung ausdrucken und gab Gas. Und ich
meine wirklich >Gas<, denn die Hütte steht weit oben auf
einem Berg, und wenn ich gewußt hätte, wie viele
Straßen auf einer Seite bloß einen Abgrund haben,
wäre ich nie hergekommen. Echt schauerlich. Aber jetzt bin ich
da. Die Luft hier riecht nach Kiefern, und eine Brise bläst mir
Blätter um die Füße, die ich nicht sehen kann, dazu
ist es zu dunkel. Die Hütte habe ich nur deshalb entdeckt, weil
der Leihwagen einen Suchscheinwerfer hat. Hier ist ehrlich der Arsch
von Nirgendwo.
    Trotzdem… es ist irgendwie hübsch.
    Ich hämmere an die Tür, und nach einer Weile geht die
Lampe auf der Veranda an, und John öffnet. »Shana… was
zum…«
    »Shana!« ruft Maggie. Sie kommt direkt hinter ihrem Sohn
und knüpft sich gerade den Gürtel vom Bademantel zu. Sie
macht ein finsteres Gesicht. »Was tun Sie hier – und um
diese Uhrzeit?«
    »Ich besuche Sie«, sage ich munter. »Keine Sorge,
Maggie, keiner folgt mir, ich habe genau aufgepaßt. Wo ist
Nick?«
    »Er schläft. Und ich werde ihn auch nicht wecken. Er
braucht seine Ruhe.«
    Da hat sie wohl wirklich recht, auch wenn sie es in Gekeife
kleidet. Ich sage: »Wollen Sie mich nicht reinbitten? Ist kalt
hier heraußen.«
    Und selbst jetzt noch zögern sie und John eine Sekunde lang,
bevor sie zur Seite treten. Man möchte glauben, reiche Leute
hätten bessere Manieren.
    »Also gut, kommen Sie herein«, sagt Maggie. »Aber
ich warne Sie, Shana, wenn Sie auf weitere Publicity aus sind, dann
wird sie sicher nicht hier stattfinden! Ich weiß gar nicht,
wieso Sie hierhergefunden haben. Es ist ein ganz privates Fleckchen
Erde und nur für die Familie bestimmt.«
    »Und Sie gehören nicht zur Familie«, fügt John
hinzu, »auch wenn sie sich noch so sehr
aufdrängen.«
    Eine Minute lang tut es weh, und dann werde ich ärgerlich.
Wissen diese Leute denn nicht, was ich für sie getan habe?
Für das ganze Land? Nick ist der einzige von ihnen, der wirklich
Klasse hat, und Nick schläft. Und alt und schwach ist er auch.
Ich setze gerade dazu an, John und Maggie meine Meinung zu sagen, als
mir auffällt, daß Nick zwar möglicherweise
schläft – aber sonst keiner! Da höre ich einen Schrei
aus dem Nebenraum, und noch einen, und dann kommt Laurie herein, das
Baby auf dem Arm.
    Es ist das erstemal, daß ich es sehe.
    Es verzieht das Gesicht und brüllt über Lauries Schulter
hinweg. Sie tätschelt ihm den Rücken und schwingt es rauf
und runter. Das kleine Ding hat einen wolligen gelben Schlafanzug mit
Füßchen an.
    Alles, was ich von dem Baby sehen kann, ist sein Gesicht und die
dicken Fäustchen.
    »Ihr Klopfen hat Timmy aufgeweckt«, stellt John
schmollend fest.
    »Tut mir leid«, sage ich, aber ich kann meine Augen
nicht von dem Baby abwenden.
    »Mein armes kleines Schnuckelchen«, sagt Laurie, und das
bringt mich fast zum Kotzen. Aber Laurie sieht ganz glücklich
drein. Müde und blaß, aber glücklich. Ich mache einen
Schritt auf sie zu, um einen besseren Blick auf das Baby zu haben,
das immer noch brüllt wie am Spieß.
    Maggie

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