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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Schimpansen mit Cameron
Atulis Gesicht wirklich bedeuten.
    Laurie sagt: »Möchten Sie ihn halten, wenn er
fertiggetrunken hat?«
    »Nein, danke!« sage ich sehr rasch. »Ich mag Babies
nicht so besonders.« Und das ist wahr. Sogar normale Babies.
Stinkende, lästige kleine Bälger.
    Laurie lacht. Sie ist so vernarrt in das Kind, daß sie
einfach nicht zu beleidigen ist. Sie strahlt diese innere
Glückseligkeit aus, die man nicht vortäuschen kann, die
auch von Müdigkeit und Problemen und allem anderen nicht
umzubringen ist. Kopfschüttelnd gehe ich zurück ins
Bett.
    Aber ich fühle mich trotzdem ein bißchen verzagt.
Laurie weiß wenigstens, was sie will.
     
    Die Aufführung ist ein enormer Erfolg. Ich habe neun
Vorhänge. Ich verbeuge mich neben Caroline, die keuchend, aber
strahlend ihre Blumen an sich drückt, während sie wieder
und wieder in einem tiefen Knicks versinkt. Wir werden Feuervogel noch in Atlanta, New York, San Francisco, Tokio, Rom und London
tanzen. Aber in je mehr Städten ich tanze, desto berühmter
werde ich und desto größer wird die Wahrscheinlichkeit
meiner Entlarvung.
    Denn sie sind da draußen – die Reporter, die mit
jedem Tag tiefer in die >Story des neuen Jahrhunderts< bohren.
Sie decken alles auf und schreiben endlos darüber. Sie
wühlen sich in die Schrecken der illegalen Vivifaktion und der
Monster, die sie praktiziert haben.
    Sie fressen sich auch durch die ganzen Ausmaße der
behördlichen Verschleierung mit ihrer faszinierenden Frage: wie
weit hinauf reichte das Wissen um das verabredete Stillschweigen zur
Verschleierung einer Straftat    Sie verkrallen sich in die Gefahren der synthetischen endokrinen
Disruptoren.
    Sie stochern in den konkreten Vorkommnissen, die zu Doktor
Clementis sensationeller Pressekonferenz geführt haben.
    Sie stecken ihre Nasen in alles und jedes. Und früher oder
später werden sie auf die Schimpansen mit meinem Gesicht
stoßen, und danach kommen sie zu mir.
    In der Pause versucht Rob, der in den Kulissen gewartet hat, mich
dazu zu überreden, mir mein eigenes Gesicht durch Vivifaktion
verändern zu lassen. Vielleicht mache ich das sogar. Nur glaube
ich nicht, daß das die Reporter sehr lange wird aufhalten
können. Sie sind so unausbleiblich wie der Tod.
    Und wenn sie mich einmal gefunden haben, werde ich nie mehr nur
als Tänzer tanzen können. Ich werde eine begaffte
Abnormität sein, kein Künstler. Also tanze ich jetzt und
schleudere meinen Körper mit einer Kraft und Geschwindigkeit
über die Bühne, über die ich nie zuvor verfügt
habe. Die Zeit ist kurz, und ich muß sie so intensiv nutzen,
wie ich kann, obwohl ich weiß, daß unter meinen
Füßen kein fester Boden ist, und daß ich auf nichts
als leerer Luft tanze.
    Ich versuche, nicht daran zu denken. Ich versuche, keine Gedanken
zu haben und nur zu Musik zu werden, zu Schritten, zu Rhythmen, zum
Feuervogel.
    Solange es geht, tanze ich.
     
    Am nächsten Tag gehen Nick und ich im Wald, der die
Hütte umgibt, spazieren. Auf seinen Stock gestützt, hoppelt
er neben mir her. Der Stock hat einen Haufen medizinisches Zeug
eingebaut – Sensoren und Alarmsysteme und Notfallpflaster. Ich
halte seinen anderen Arm fest. Als Spaziergang ist es keine besonders
aufregende Sache, aber wenigstens kommen wir von den anderen weg.
Hundert Meter von der Hütte entfernt setzen wir uns auf einen
großen umgestürzten Baumstamm und lassen uns von der Sonne
bescheinen. Die Berge rundum leuchten in allen Farben der
Herbstblätter: rot, gelb, orange, braun und was weiß ich
noch. In der Stadt sieht der Herbst doch ganz anders aus.
    »Also, was geschieht jetzt mit Ihnen, Nick?«
    Er lächelt und klammert sich fester an den Griff seines
Stockes. »Das ist das erstemal, fällt mir auf, daß
Sie sich für die Zukunft eines anderen interessieren,
Shana.«
    »Na ja, also gut.«
    »Was ist >also gutmir um; obwohl er halb blind ist, könnte ich schwören,
daß er tiefer in alle hineinsieht als Menschen, die noch
über zwei gesunde Augen verfügen.
    »Also gut!« belle ich zurück, »beantworten Sie
meine Frage! Was geschieht jetzt mit Ihnen?«
    »Ich lebe weiter«, antwortet er fröhlich, »bis
etwas anderes kaputtgeht, gegen das die Medizin machtlos ist, und
dann sterbe ich.«
    »Auch eine Einstellung«, bemerke ich.
    »Das ist genau die richtige Einstellung! Aber für mich,
nicht für Sie. Was geschieht jetzt mit Ihnen, Shana
Walders?«
    »Nichts, denke ich.«
    »Sie meinen, jetzt, wo

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