In grellem Licht
Gesichter weich und
mysteriös erscheinen ließ. Laurie hatte den Schleier auf
volle Stärke gestellt. Ich erschrak, als ich sah, wie mager sie
wirkte. Ich nahm ihren Arm und führte sie in die entfernteste
Ecke der Bar, dorthin, wo es am dunkelsten war. Holos vom
Kitty-Hawk-Flugzeug schwebten über uns dahin und verschwanden,
ehe sie gegen die Wand stießen.
»Schalte deinen Schleier ab, Laurie, ich weiß,
daß du geweint hast.«
Widerstrebend entfernte sie das Holo. Laurie war nicht auf die
gleiche Weise hübsch wie Shana, und jetzt wirkte sie fast
häßlich. Zu hager; sie hatte stark abgenommen. Ein
kräftiges, eckiges Kinn, fleckige Haut, kleine Augen, die zu eng
standen und die jetzt rot und verschwollen waren. Aber der Ausdruck
in diesen Augen war der sanftmütigste, den ich je gesehen hatte.
Laurie war eine solche Rarität – ein durch und durch guter
Mensch, ohne jede Kleinlichkeit oder Arglist. Und wäre mit
Rubinen nicht aufzuwiegen… Ich nahm ihre schmale Hand.
»Sag es mir, Liebes. Was ist denn los?«
Sie schüttelte nur den Kopf, und die Tränen stiegen ihr
wieder in die Augen.
»John sagte, du hättest dir das neue Baby der Nachbarn
angesehen.«
»Ja«, flüsterte sie, und ich bemerkte die gewaltige
Anstrengung, die es sie kostete, nicht die Beherrschung zu verlieren.
Lauries Gefühle waren stets tief. »Ich benehme mich wie ein
Idiot, Dad, ich weiß. Aber ich schaffe es einfach nicht zu
akzeptieren, daß John und ich nie ein… Ich weiß,
daß Millionen andere Ehepaare im selben Boot sitzen. Ich
weiß, wir sind nichts Besonderes. Es ist nur…«
»Du wirst immer etwas Besonderes sein, Laurie.«
»… daß ich nicht aufhören kann zu
weinen.«
»Denkst du nicht daran, dir etwas verschreiben zu lassen,
Kleines?«
»Ich habe schon Serentil- und Alixolin-Depots.«
Das waren starke und verläßliche
Neurotransmitterregler. Und sie halfen nicht. Offenbar gibt es eine
Art von Trauer, die der Pharmakologie standhält. »Laurie,
was kann ich…?«
»Finde mir ein Baby zum Adoptieren.«
Ebensogut hätte sie ein Mastodon zum Zähmen verlangen
können. Außer sie meinte…
»Wie soll ich ein Baby finden, Liebes? Komm, bestell dir
etwas zu trinken, das wird dir guttun.«
Sie tippte etwas in die Bestellkonsole auf dem Tisch, und ich
glaube nicht, daß sie wußte, was es war. Ich nahm Wein,
obwohl mir klar war, daß er meine Insulin-Biomonitore aus dem
Gleichgewicht bringen würde. Pilze lieben zuckersüßes
Blut.
»Wie soll ich ein Baby finden, Laurie? John hat mir
erzählt, daß ihr schon wiederholt alle
Adoptions-Datenbanken durchforstet habt und…«
»Auf dem schwarzen Markt. Ein Baby vom
Schwarzmarkt.«
Nun, da sie es tatsächlich ausgesprochen hatte, beruhigte sie
sich plötzlich. Zu diesem Entschluß zu kommen, das war es,
was sie zugrunde gerichtet hatte. Laurie glaubte – wie Sallie
und Maggie – an Recht und Gesetz, an Anständigkeit, an den
Gesellschaftsvertrag. Ich wußte, daß sie keine Woche auf
dem Schwarzmarkt durchhalten könnte; sie hingegen wußte
das nicht.
»Laurie, Liebes… selbst wenn ich wüßte, wie
man das anstellen sollte, und selbst wenn du gewillt wärst, die
Strafe dafür zu riskieren, ist das eine unglaublich kostspielige
Sache, und außerdem…«
»Wir werden alles dafür geben. Jeden Cent. Wir werden
unser zukünftiges Einkommen verpfänden.« Eifrig beugte
sie sich vor. Die Tränen waren versiegt. »Wir würden
alles geben!«
»Und ist John damit einverstanden?« Ich konnte mir nicht
vorstellen, daß John, der immer so bedacht war auf seine eigene
Bequemlichkeit, da mittun wollte.
»Er weiß noch nicht, daß ich an den… den
Schwarzmarkt denke. Aber wenn er es erfährt, bin ich sicher, er
wäre einverstanden. Er wünscht sich ebenso sehnlich ein
Kind wie ich. Ach, Dad, du weißt ja nicht, wie das ist! Ich
wache morgens auf und ich höre das Goldstone-Baby durchs
Fenster, und meine Arme umfassen nichts als Luft! Ich trage eine
Leere in mir herum, Tag für Tag, von früh bis spät
– ein Vakuum. Ich kann nicht schlafen, nicht essen, mich nicht
konzentrieren. Manchmal wird es so schlimm, daß ich einen
körperlichen Schmerz verspüre, wenn ich mich nur von der
Stelle bewege, wenn ich einen Fuß vor den anderen setze. Und
ich kann nicht aufhören zu weinen. Ich weiß, daß
nicht alle Frauen so sind, und ich sage mir, daß niemand alles
bekommt im Leben, und daß ich dankbar sein sollte für das,
was ich habe, und daß ich alles vergessen sollte,
Weitere Kostenlose Bücher