In grellem Licht
Computer, der dem Fahrer bei einer längeren
Reaktionszeit die Entscheidung abnahm. Sallies Wagen war einfach nur
ein Wagen. Aber Sallie war auch noch keine fünfzig.
Sie sagte: »Wieso kommst du nur für ein paar Stunden?
Richard wird es leid tun, dich nicht zu sehen. Und was ist so
furchtbar geheim, daß du darüber nicht am Telefon reden
konntest?«
»Einen Gefallen«, sagte ich. »Ich bitte dich um
einen großen Gefallen, Sallie. Fahr hinaus zum Zentrum für
Seuchenkontrolle.«
Sie warf mir einen Seitenblick zu. Der Regen prasselte gegen die
Windschutzscheibe. Sallie pendelte zwischen den Fahrstreifen hin und
her. »Steht es mir frei, auch nein zu sagen? Deinem Tonfall nach
bleibt mir wohl keine Wahl!«
»Ich hoffe, du wirst nicht nein sagen.«
»Was ist es?«
Ich riß mich zusammen. »Ich brauche eine Liste aller
Spender von Vivifaktions-Zellen – sowohl der freiwilligen als
auch der unfreiwilligen.«
»Du weißt, daß ich das nicht tun kann«,
sagte sie automatisch.
»Ich weiß, daß du es kannst. Ich frage dich, ob
du willst.«
Ein paar Minuten fuhren wir schweigend weiter, während die
Tropfen auf das Dach hämmerten. Sallie hat ein ausdrucksvolles
Gesicht, und so konnte ich zusehen, wie ihre ethischen
Grundsätze mit ihrer Neugier kämpften, ihre
Familienloyalität mit ihrer gesetzestreuen Natur. Ich unterbrach
sie nicht. Schließlich sagte sie: »Wozu?«
Der Anfang war gemacht. Sobald die Neugier einmal die Oberhand
hat, kann man damit rechnen, sie auch dort zu halten. »Das kann
ich dir nicht sagen. Aber ich garantiere dir, diese Informationen
werden keinesfalls auf eine Weise benutzt, daß sie zu dir
rückzuverfolgen sind oder das Zentrum kompromittieren.
Außerdem suche ich nur nach einem einzigen Namen, falls es dir
so leichter fällt, die Vorschriften zu umgehen.«
»Allerdings«, sagte sie, doch darauf hatte ich
natürlich gezählt. »Und wie lautet er?«
»Cameron Atuli. A-T-U-L-I.« Der Name sagte ihr nichts;
Sallie hatte nichts für Ballett übrig.
»Identitätsnummer?«
»Keine Ahnung. Aber es handelt sich um einen Mann Anfang
zwanzig, wohnhaft in Washington.«
Sallie seufzte. Die Sache gefiel ihr gar nicht. Aber wenn es nur
um einen Namen ging, der nur für ihren Vater bestimmt war, den
vertrauenswürdigsten Menschen auf der Welt… Sie war
durchsichtig wie Luft.
Wie manche Luft. Der Regen strömte immer noch vom Himmel,
zusammen mit seiner unsichtbaren Last.
»Also gut, Dad. Ich sehe nach. Aber nur, weil ich weiß,
daß du nichts Böses oder Unethisches mit dieser
Information anstellen wirst.«
»Danke, Sallie.« Ich war nicht so dumm, sie wegen Laurie
um Hilfe zu bitten; Sallie mochte zwar Informationen klauen, aber
keine Babies.
»Genaugenommen interessiert sich das Zentrum gar nicht
für Vivifaktion«, sagte Sallie bedrückt. »Wir
haben gar keine entsprechenden Daten gespeichert. Wir sind zu
beschäftigt mit den fallenden Spermienzahlen.«
»Ich weiß«, erwiderte ich, und wir mußten
beide lächeln bei dieser Ironie: Fallende Spermienzahlen sind
nicht unbedingt eine Seuche. Niemand ist krank dabei. Die staatliche
Gesundheitsbehörde und die staatlichen Laboratorien hätten
natürlich als Teil des allgemeinen öffentlichen
Forschungsauftrages an einer Steigerung der Fruchtbarkeit arbeiten
können (sie hätten sich auch mit Vivifaktion
beschäftigen können). Von der Arzneimittelbehörde
wurde erwartet, alle >Heilmittel< für niedrige
Spermienzahlen zu überprüfen und zu genehmigen; das war nur
eine Weise, auf die Vanderbilt Grant seine beträchtliche Macht
ausübte. Und in der Theorie sollte sich das Zentrum für
Seuchenkontrolle auf Krankheiten beschränken. Doch in der Praxis
hatte sich während der letzten zwanzig Jahre sein Auftrag der
>öffentlichen Gesundheitspflege< zu einem medizinischen
Arm des Justizministeriums gewandelt, das andernfalls nicht in der
Lage gewesen wäre, esoterische medizinische Verbrechen zu
bekämpfen, die es nicht im mindesten verstand. Das Resultat
waren dauernde Revierkämpfe, die noch verschlimmert wurden durch
die immerzu schrumpfenden finanziellen Mittel. Es schien unglaublich,
daß der Kongreß einst mehr als hundert Milliarden Dollar
jährlich der Wissenschaft zur Verfügung gestellt hatte.
Und die Existenz einiger Dateien des Zentrums war so gut wie
unbekannt. Es gab dort nicht vernetzte Computer in abgesicherten
Räumen, deren Benutzung nur den rangältesten Mitarbeitern
mit den entsprechenden Unbedenklichkeitsbescheinigungen
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