In grellem Licht
vorbehalten
war. Leuten wie Sallie.
»Bleib im Wagen«, sagte sie, als wir vor dem Zentrum
ankamen. »Ich brauche eine halbe Stunde.«
Sie brauchte länger. Plauderte sie mit Kollegen? Sallie war
keine gute Pokerspielerin. Ich saß da, sah zu, wie der Regen
nachließ, aufhörte und wieder anfing, stärker als
zuvor. Immer wenn es in Bethesda so stark regnete, trat der
Fluß hinter dem Haus über die Ufer. Mit der
Überflutung traten die Frösche auf den Plan. Und
Frösche, die den Großteil ihres Lebens im Wasser
verbrachten, sind vergleichbar mit den Kanarienvögeln der
Bergleute: sie reagieren äußerst empfindlich auf
Veränderungen in der Umwelt. Meine Hinterhofüberflutung
brachte Frösche mit Klumpfüßen ans Tageslicht,
Frösche mit nur einem Bein, Frösche mit verkümmerten
Beinen, Frösche mit gar keinen Beinen. Ein Franzose hätte
an meinem Flüßchen in feinschmeckerischer Hinsicht unter
gewissen Entbehrungen zu leiden gehabt.
Schließlich kletterte Sallie tropfnaß zurück in
den Wagen. Sie schüttelte sich wie ein großer,
unglücklicher, treuer Hund und sah mir nicht ins Gesicht.
»Also, Atuli scheint tatsächlich auf. Dad, worum dreht
sich diese Sache? Du hast dir etwas Beängstigendes
ausgesucht!«
»Etwas Beängstigendes?« Das hatte ich nicht
erwartet.
»Nein, wenn ich mir’s recht überlege, will ich es
gar nicht wissen. Ich sage dir, was ich herausgefunden habe, und dann
erwähnen wir das ganze weder beim Mittagessen noch sonst
irgendwann wieder. Okay?«
»Okay«, sagte ich. Das Wasser rann ihr aus dem Haar und
über die breite Stirn. Erfolglos wischte sie daran herum.
»Cameron Atulis Zellen scheinen tatsächlich in den
Unterlagen auf, als die eines unfreiwilligen Spenders. Stratum
lucidum, Stratum basale, Dermis, Talgdrüsen – alles, was
nötig ist, um Haut für Transplantate zu züchten. Als
Quelle wird das FBI angegeben, was heißt, daß die Zellen
anläßlich einer Razzia bei einem illegalen medizinischem
Unternehmen beschlagnahmt wurden. Du wirkst nicht sehr
überrascht.«
»Das bin ich auch nicht«, sagte ich. »Aber das ist
nicht alles, oder?«
»Nein«, antwortete sie in grimmigem Tonfall. »In
den Unterlagen scheinen keine Zellen innerer Organe auf. Mit einer
Ausnahme. Hoden.«
»Hoden?«
»Ja. Und eine Anmerkung, daß es sich um fruchtbare
Zellen handelt. Cameron Atuli hat eine Spermienzahl von dreihundert
Millionen pro Liter Samenflüssigkeit.«
Dreihundert Millionen! Du lieber Gott.
»Oder besser, er hatte sie. Nachdem ich das herausgefunden
hatte, überprüfte ich die Datei mit den Aufnahmen in
staatliche Kliniken für den Zeitraum rund um die Zellentnahme.
Atuli war Patient im Carter Memorial und stand unter strengster
Bewachung. Die Operation betraf ein Hodenimplantat. Um das
äußere Erscheinungsbild von Hoden und Hodensack wieder
herzustellen, wenn beides schwer geschädigt wurde, oder wenn ein
Junge ohne Skrotum geboren wird. Die Operation…«
»Ich weiß, wie das geht«, unterbrach ich sie ein
wenig zu gereizt; ich mußte mich bemühen, das alles
aufzunehmen. Ein Hodenimplantat ist natürlich unfruchtbar,
obwohl es zu einer normalen Ejakulation kommen kann.
»Ich wollte dir nicht die Operation erklären!«
entgegnete Sallie ebenso gereizt. »Dir? – Na,
hör mal! Ich wollte nur hinzufügen, daß das Einsetzen
des Implantates einer induzierten retrograden Amnesie
voranging.«
Also würde Cameron Atuli sich nicht erinnern an seine…
was? Entführung vielleicht. Oder unfreiwillige Zellspende. An
die Stunden, die er reglos im MOSS-Tank verbrachte, zu Tode
geängstigt, und die gefolgt wurden von seiner Kastration…
Tänzer tendierten wie alle kreativen Menschen zu ein wenig
Instabilität. Wahrscheinlich war die induzierte Amnesie ein Akt
der Barmherzigkeit. Autorisiert von wem? Von wem bezahlt?
»Noch eine Information, weil ich weiß, daß du
früher oder später danach fragen wirst«, sagte Sallie.
Sie blickte starr geradeaus. »Ja, ich habe alle Dateien
durchgesehen, die ich zur Verfügung hatte. Deshalb habe ich so
lange gebraucht. Und nein, das Zentrum ist nicht im Besitz von
Cameron Atulis fruchtbaren Hoden. So, und nun bitte ich dich, nie
mehr wieder so etwas von mir zu verlangen, Dad.«
Sie sah so jämmerlich aus: naß, zerknittert,
schuldbewußt, besorgt. Aber Sallie war unverwüstlich
– im Gegensatz zur verletzlichen Laurie. »Ich werde nie
wieder so etwas von dir verlangen«, versprach ich.
»Gut. Und jetzt wollen wir mittagessen.«
Auf dem
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