In grellem Licht
Springbrunnen
rumhängt, mit Drogen dealt, Sonnenschein saugt und die
aufgedonnerten Spießer anbettelt, die zum Ballett gehen. Aber
im Unterschied zu dem übrigen Pack bin ich sauber und
nüchtern und trage billige Zoomlinsen, die zwar alles verzerren,
was nahe ist, aber alles in hundert Metern Entfernung gestochen
scharf erkennen lassen.
Die Front des New York State Theaters besteht komplett aus Glas.
Es ist schmierig und fleckig. Einer von den Kerlen sagte mir,
früher mal hätte es dahinter Vorhänge gegeben, um den
reichen Leuten eine Art Privatsphäre zu verschaffen, aber jetzt
haben sie nicht mehr genug Geld (wer hat das schon?), und so kann ich
durch die verdreckten Scheiben hineinsehen auf die Party, die
dahinter stattfindet. Zumindest kann ich das sehen, was sich
unmittelbar hinter dem Glas befindet. Die Lichter im Innern brennen
nicht annähernd so hell wie die Strahler, die die
Außenseite des Gebäudes vor Abschaum wie uns
schützen.
Blumenvasen und Delikatessen. Ich kann Cameron Atuli sehen, der
immer noch sein schwules Tanzkostüm anhat und auf einer
Marmorbank am Fenster sitzt. Und ich kann die kleine alte Dame sehen,
die lange, lange mit ihm redet. Sonst redet niemand mit ihm,
ausgenommen sein Liebhaber.
Als die Party vorbei ist, folge ich ihr. Der Dealer am
Springbrunnen erzählte mir, daß die Party für reiche
Leute stattfindet, die dem Ballett vielleicht Geld zukommen lassen
werden. Diese kleine alte Dame sieht zwar ziemlich reich aus, aber
irgendwie kommt sie mir nicht ganz >richtig< vor. Ich
weiß nicht, wie ich es erklären soll. Sie redet einzig und
allein mit Atuli, geht unmittelbar danach – und da wirkt ihr
ganzer Körper, so aus hundert Meter Entfernung, zu…
geschmeidig. Zu fit. Zu jung.
Sie überquert den Platz, auf dem der Brunnen steht, ganz in
meiner Nähe, begleitet von einem der wandelnden
Kleiderschränke, die das Lincoln Center anstellt, damit sie die
reichen Leute zu ihren Wagen oder Taxis bringen. Keine drei Schritte
von mir entfernt geht sie vorbei, aber ich kann die Zooms nicht
rausnehmen, ohne daß es auffällt, und so nehme ich sie nur
als verwischte Gestalt wahr. Als sie wieder weiter weg ist, sehe ich,
daß ihr Begleiter sie in ein Taxi setzt, und ich hänge
mich in sicherer Entfernung dahinter, und zwar auf einem Powerboard,
das ich im Park geklaut habe. Es ist nicht schwer, dem Taxi zu
folgen; verkehrsmäßig geht in New York rein gar nichts
weiter.
Vor einem recht ordentlichen, sicheren Apartmenthaus an der West
End Avenue steigt sie aus. Ich notiere mir die Adresse und gehe heim,
das heißt, in die Bude eines Freundes. Er ist kein enger
Freund, aber er läßt mich bei sich wohnen, so lange ich
will – für die übliche Gegenleistung. Ich hoffe, es
wird nicht für lange sein. Er ist ein ganz netter Kerl, aber im
Bett hat er einfach keine Ahnung, was er tun soll, und ich habe keine
Lust, es ihm zu erklären.
Am nächsten Morgen bin ich sehr früh in der West End
Avenue und schnorre außerhalb der gesicherten Zone. Der
Wächter stiert mich durchdringend an, aber laut Gesetz kann er
nichts dagegen tun. Etwa um halb acht kommt das Weib endlich aus dem
Haus, bloß sieht sie nicht mehr so aus wie gestern:
dreißig Jahre jünger, gekleidet in einen sachlichen Anzug
mit glatter Weste. Aber kein Zweifel, das ist dieselbe Frau. Kein
Taxi heute; sie nimmt die U-Bahn, und ich hänge mich an sie.
Sie fährt zu einem Bürogebäude im Stadtzentrum. Ich
gehe nicht rein, aber das brauche ich auch nicht. Das kleine Schild
mit dem Emblem ist auch von draußen deutlich zu sehen:
Bundespolizeibehörde – FBI.
Schau, schau.
Als nächstes mache ich mich auf zum Hinterausgang des New
York State Theaters, denn das Terminal in der Bibliothek des Lincoln
Centers – und ich habe noch nie eine so stinkende Bibliothek
erlebt, es gibt kaum Leute dort, die die obdachlosen Fossilien
rausschmeißen – hat mir verraten, daß sich hinter
dieser Tür die Proberäume der Tänzer befinden. Das
Gebäude hat kein Restaurant. Und essen muß jeder
irgendwann mal.
Aber nicht allein. Das erwarte ich gar nicht, nicht nach dem, was
ihm in Washington in Form von Dreamie und Teela zugestoßen ist.
Als er zum Mittagessen rauskommt, hat Atuli nicht nur seinen Liebsten
bei sich, sondern ist umringt von anderen Tänzern, sechs alles
in allem, Männer und Frauen. Ich werde wohl nur eine kurze
Chance haben.
Ich warte, bis sie in einem Restaurant in der Amsterdam Avenue
entspannt plaudernd in der Reihe
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