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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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zu sein.
    Ich fuhr fort mit meiner Liste – einer langen Liste. Kollegen
aus der Welt der Wissenschaft, die ich immer schon einer nicht
wirklich perfekten ethischen Gesinnung verdächtigt hatte.
Ehemalige Harvard-Absolventen. Menschen, mit denen ich über die
Jahre in Washington bekannt geworden war. Ich hatte so etwas noch nie
zuvor gemacht, aber es stellte sich heraus, daß selbst bei
etwas so Kostbarem wie dem menschlichen Leben die Wand zwischen
legalen Geschäften und dem Schwarzmarkt dünn und
übersät mit Schlupflöchern war. Wahrscheinlich fanden
die Ärzte und Anwälte nichts Schlimmes an ihrem Tun:
Schließlich landeten die Babies in wohlhabenden Häusern,
die sie mit weit offenen Armen aufnahmen. Die Anwälte erhielten
reichlichen Lohn für ihre Bemühungen. Und die biologischen
Mütter… nun, war denn ein Mädchen, das sich willig
schwängern ließ und dann ihr Kind verkaufte,
überhaupt geeignet, Mutter zu sein? Ich vereinbarte noch zwei
Treffen – »unverbindlich, wohlgemerkt!« – an
einem neutralen Ort. »Um über Ihr Problem zu
sprechen.«
    Doch unter der Geldgier, der Selbstzufriedenheit und dem
Sich-bedeckt-Halten hörte ich noch etwas anderes heraus: ein
seltsames Bedauern. Nicht das Bedauern einer moralischen Gesinnung
über die Existenz dieser unethischen Machenschaften, sondern das
Bedauern eines Lieferanten, der nicht über ausreichende
Bestände verfügt, um die Nachfrage zu befriedigen.
    Die ganze Zeit über wollte niemand anderer meine
>Telefonzelle< benutzen – eigentlich schien auch niemand
außer mir den dörflichen Markt zu besuchen. Bei diesem
Besuchermangel würde es nie Einnahmen geben, die dem Park zugute
kämen. Offenbar wollten die Alten nicht an die Vergangenheit
erinnert werden, und die Jungen wußten nur zu genau, daß
sie die Zukunft waren. Wir sagten es ihnen ja andauernd. Laßt die Toten die Toten begraben…
    Mein Auge schmerzte, die Entzündung im Mund wurde schlimmer,
und das Kopfweh war wieder da.
    Aber ich hatte mich fast bis ans Ende meiner Liste
durchgearbeitet. Der nächste: Billy McCullough, ein Junge mit
einem College-Stipendium aus North Philadelphia, an den ich mich nur
deshalb erinnerte, weil ich mich stets gezwungen gefühlt hatte,
nett zu ihm zu sein, da niemand des ganzen Jahrgangs es sonst war.
Billy war im zweiten Jahr durchgefallen, doch er schickte immer noch
regelmäßig seinen jährlichen Bericht an die
Ehemaligen-Zeitung meines Jahrgangs, die ihn auch pünktlich
brachte. Er hatte das College anderswo beendet, danach eine
drittklassige Rechtsakademie besucht und in Philadelphia eine Kanzlei
aufgemacht. Ich kannte die Stadt nicht gut genug, um feststellen zu
können, ob es sich um eine gute Adresse handelte oder nicht. Ich
hoffte, nein.
    »Billy McCullough? Hier spricht Nick Clementi! Wir waren
zusammen in Harvard, du erinnerst dich vermutlich nicht mehr an
mich…«
    »O doch«, sagte er. »Was machst du denn so,
Nick?«
    »Ich werde alt. Wie wir alle. Aber ich rufe dich aus einem
ganz bestimmten Grund an, Billy. Ich hoffe, du kannst mir
helfen…« Ich betete meine gewohnte Litanei herunter. In
meinem Kopf tobte es. Ich hätte schon längst meine Arznei
nehmen müssen; vielleicht konnte ich mich in einem Taxi ein
wenig flachlegen.
    »Aha«, sagte Billy schließlich. »Mir ist
alles klar. Da kann ich dir allerdings helfen.« Er klang
definitiv, fast ärgerlich.
    »Tatsächlich?«
    »Klar. Hör zu, ich bin in einem neuen Büro.
Nagelneu, ich habe es erst heute Morgen gemietet. Keiner wußte,
daß ich das tun würde, also wird nichts angezapft oder
abgehört. Wie ist es bei dir? Öffentliche Leitung,
richtig?«
    Er kannte sich aus. Ich setzte mich gerader hin.
»Richtig.«
    »Okay. Ich will jetzt ganz offen sein. Du warst immer
anständig zu mir, und ich weiß, daß du es ehrlich
meinst mit dem, was du willst. Du willst ein Schwarzmarktbaby
für deinen Sohn. Aber ich sage dir, es gibt keine mehr. Vor
fünf Jahren, ja sogar noch vor drei, hatten wir immer wieder mal
das Glück… Aber jetzt nicht mehr. Von den Mädchen, die
wir hier und im Ausland verwenden, werden nicht mehr genug schwanger,
und es wird immer schwerer, neue zu finden, egal, wieviel man zahlt.
Verstehst du?«
    »Ja«, sagte ich. Die Mädchen, die wir hier und
im Ausland verwenden. Wo ließ ich mich da hineinziehen?
    »Okay. Aber eine Menge Frauen möchten Babies. Also
versuchen wir es gelegentlich mit Ersatzangeboten. Hört sich
anfangs befremdlich an, aber ich kann dir versichern,

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