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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Polizei. Noch
nicht.
    Schon bei dem flüchtigen Gedanken, Laurie einen Schimpansen
mit Cameron Atulis Gesicht mitzubringen, schauderte es mich. Was
machte ich da eigentlich? Ich hatte nichts weiter vorgehabt, als
Laurie ein Baby zu kaufen! Mit all dem übrigen hatte ich nichts
zu schaffen… Aus diesem Gesichtswinkel sah plötzlich alles
ganz anders aus als damals beim Betrachten des Phantombildes von
Shana Walders’ Schimpansen auf dem sterilen Wandschirm des
Beirats für medizinische Krisen beim Kongreß!
    Shana. Ob sie wohl schon wieder nach Hause zurückgekehrt
war?
    Ich kämpfte mich aus dem Taxi und über den Gehsteig. Die
Bäume und der Rasen rundum schwankten und bebten. Es ging
besser, wenn ich mein rechtes Auge schloß. Aber irgend etwas
passierte gerade in meinem Hirn…
    Ich drückte auf die Klingel. Aus dem Inneren meines Hauses
dröhnte heisere Musik, was bedeutete, daß Shana
zurück war. Aber nicht sie öffnete mir die Tür und
auch nicht Maggie. Es war Sallie, die vor mir stand, das Haar wild
zerrauft, und die mir mit bitterer Stimme ins Gesicht schleuderte:
»Sie haben mich rausgeschmissen! Nach fünfzehn Jahren! Sie
sind draufgekommen, daß ich mir zu der Atuli-Datei
Zugriff verschafft… Dad! Was ist mit dir?«
    »Ruf… deine Mutter.«
    »Dad! Was ist denn los? Mom!«
    Es wurde dunkel um mich. Ich war bei Bewußtsein, aber ich
konnte plötzlich nichts mehr sehen. Jetzt hatten die
Mukor-Fasern schließlich doch die Sehnerven erreicht.
Merkwürdigerweise ging der Schwindelanfall sofort wieder
vorüber, und ich fühlte eine geradezu unheimliche innere
Ruhe. Aber ich kannte dieses neue Territorium noch nicht. Ich machte
einen Schritt vorwärts und strauchelte, und es war Maggie, die
mich auffing und mich zu einem Sessel führte, den ich
fühlen, aber nicht mehr sehen konnte.
     
    Was das Sterben betrifft, so liegt die Mukor-Mykose auf mittlerer
Ebene. Der Tod zieht sich nicht so schmerzerfüllt in die
Länge wie bei manchen der bereits besiegten Arten von Krebs, und
er kommt nicht so rasch und gnädig wie beim Herzstillstand. Auf
mich warteten noch plötzliche Krampfanfälle und dann ein
Koma, das für Maggie weitaus schlimmer sein sollte als für
mich, der nichts davon mitbekommen würde.
    Doch im Moment, als ich so in meinem Krankenhausbett saß,
war ich nur schwach. Ohne Schmerzen. Die Ärzte waren mit ihren
Scannern, Meßgeräten und Medikationen – die, wie wir
alle wußten, am Unvermeidlichen nichts ändern würden
– gekommen und auch wieder gegangen. Ich hatte mit allem
Nachdruck, den ich in meinem gegenwärtigen Zustand aufbringen
konnte, darauf bestanden, daß Maggie und Sallie nach Hause
schlafen gingen. Widerwillig und nur mir zuliebe hatten sie
gehorcht.
    Ich konnte sehen. Nur sehr schwach, aber mit beiden Augen. Das
sagte mir, daß die Hauptschädigung entweder an der
Sehnervenkreuzung saß oder entlang der Radiatio optica.
Hätte sie nicht so tief in meinem Schädel gesessen, etwa am
Netzhautende des Sehnervs, wäre meine Sehfähigkeit in einem
Auge noch intakt gewesen. Und hätte sie im visuellen Cortex
gesessen, wäre ich total blind gewesen.
    So hingegen war das Fußende meines Krankenhausbettes
zumindest ein verwischter metallischer Fleck. Die Vorhänge
drüben am Fenster sahen aus wie verschwommene Lappen. Etwas
stand auf dem Fensterbrett – Blumen? Eine Wasserkaraffe? –,
aber nicht einmal, wenn ich die Augen zusammenkniff, konnte ich
erkennen, was es war.
    Das Gehörte war plötzlich greifbarer als das Gesehene.
Unter meinem Fenster plätscherte der Straßenverkehr –
sogar noch zu dieser später Stunde – mit der
gedämpften Monotonie eines fernen Wasserfalls. Draußen auf
dem Korridor hielten Schritte vor meiner Tür inne und bewegten
sich nach einer kurzen Pause weiter. Ich lag still da und hörte
zu, wie sie sich entfernten.
    Dem Tod kann man ebensowenig ins Auge sehen wie der Sonne. La Rochefoucauld.
    Aber ich hatte es versucht. Ich hatte die Verzweiflung, die Gebete
energisch von mir geschoben – die hilflose Wut, die jemanden
erfüllen mochte, der den Gedanken nicht ertragen kann, daß
sein einzigartiger Geist für immer aus dem Universum
verschwinden soll. Unwürdiger wilder Zorn auf das
Unvermeidliche, das war meine Sache nicht. Ich würde anders
sein. Ich würde mich heiter und gelassen damit abfinden. Ohne
Angst. Und das war mir, meiner eigenen Einschätzung nach, soweit
auch gelungen.
    Was ich bisher nicht erkannt hatte, das war der Umstand, daß
es nicht die

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