In grellem Licht
Miniaturautos
der Modelle aus den Anfängen des Automobilbaus, lose Bonbons und
Poster von Franklin Delano Roosevelt und Shirley Temple. Die
Läden haben Decken und Fußböden aus dunklem Holz, und
die Verkäuferinnen tragen formlose Kattunkleider und grellen
Lippenstift. Eingehüllt in die weihevolle Stille der
Vergangenheit… Genau.
Die >öffentlichen Telefonzellen< sind kleine
individuelle Häuschen aus Glas und haben je einen Sitz aus Holz.
Keine verfügt über Video. Man zahlt mit Münzen. Ich
ließ mich auf einen Sitz nieder, schloß die Tür und
las die >Anleitung zum Wählen der gewünschten
Nummer<, denn ohne Wählen bekommt man keine Verbindung. Aber
die Verbindung war die übliche. Eine programmierte Stimme nahm
meinen Anruf entgegen. »Tymbal, Kramer und Anderson, guten
Tag.«
»Joshua Timbai, bitte.«
»Es tut mir leid, Mister Tymbal ist in einer…«
»Sagen Sie ihm, Nick Clementi muß ihn sprechen, es ist
dringend.«
»Einen Moment…«, und dann: »Nick! Wie lange
ist es jetzt schon her…?«
»Jahre. Aber ich halte mich auf dem laufenden. Mit den
Online-Berichten aus Harvard. Klingt alles gar nicht schlecht, was
man von dir hört.«
»So ganz übel läuft es ja bei dir auch nicht! Aber
mein Programm sagte eben, es sei dringend…« Er hatte sich
seit Harvard nicht verändert. Immer noch so ungeduldig,
daß es hart an Unhöflichkeit grenzte, und durchaus bereit,
konventionelle Umwege abzukürzen, um zum Kern der Sache zu
kommen und sie zu erledigen. Und genau deswegen hatte ich ihn
angerufen.
»Josh, es ist tatsächlich dringend. Aber es ist auch ein
Schuß ins Blaue. Mein Sohn ist ja verheiratet…«
»Glückwunsch!« dröhnte er, als ob das etwas
Neues wäre; John und Laurie sind seit drei Jahren verheiratet,
und Josh war bei der Hochzeit eingeladen, wo es vor wichtigen Leuten,
die er alle treffen wollte, nur so gewimmelt hatte.
»Danke. Das Problem ist, sie haben sich bisher vergebens um
eine Schwangerschaft bemüht… nun, du weißt ja, wie es
ist. Also überlegen wir eine Adoption. Die beiden wissen –
und ich weiß es auch –, wie schwer es ist, ein Baby zu
finden, und wie viele Bewerber es für jedes gibt. Ich
weiß, daß deine Kanzlei sich auch mit Adoptionen
beschäftigt…«
»Beschäftigte«, korrigierte er seufzend.
»Nicht mehr viel Geschäft damit zu machen,
heutzutage.«
»Ich weiß. Aber die ganze Familie wünscht sich das
wirklich sehr, und wir werden keine Mittel und Wege scheuen, um zu
einem Baby zu kommen. Unsere finanziellen Mittel sind inzwischen
nicht unbeträchtlich – und wir sind bereit, jeden Weg zu gehen.«
Er verstand. Das merkte ich aus seinem Schweigen. Aber ich hatte
ihn falsch eingeschätzt – immerhin hatte ich nichts als
alte Erinnerungen und ein paar Treffen, verstreut über
fünfzig Jahre, auf die ich bei meiner Einschätzung
zurückgreifen konnte. Nicht zu vergessen die gelegentlichen
sorgsam neutral formulierten Zeilen im Bulletin der ehemaligen
Studenten von Harvard.
»Nick… ich glaube, du bist an der falschen Adresse. Ich
bin seit Jahren nicht mehr in der Lage, Adoptionen – gleich,
welcher Art – zu arrangieren.«
Alles völlig korrekt. Er wußte nicht, ob mein Anruf
zurückzuverfolgen war oder nicht. Und ich wußte nicht, wer
Zugriff auf seine Aufzeichnungen hatte. Ich sagte: »Es tut mir
wirklich leid, das zu hören, Josh. Aber es war ohnehin nicht
mehr als eine vage Hoffnung. Ich versuche es klarerweise in jeder
Richtung, die mir offensteht.«
»Verständlich.« Doch dann sagte er: »Du
könntest es bei Ted Panzardi versuchen. Erinnerst du dich an
ihn? Ein großer Kerl, spielte Hockey. Hat einmal bei den
Uni-Meisterschaften im Siegerteam gespielt.«
»Kann mich nicht erinnern. Lebt er in Washington?«
»In Baltimore, glaube ich. Eigentlich habe ich seit Jahren
nichts von ihm gehört. Aber vor kurzem erwähnte einmal
jemand, daß er… Adoptionen in die Wege leitet.«
Ich grinste in meiner stickigen >Telefonzelle<. Tymbal
brachte seinen Hintern in Sicherheit. Also hatte ich ihn doch nicht
so falsch eingeschätzt; er beschäftigte sich zwar nicht
selbst mit Schwarzmarkt-Adoptionen, aber er war in der Branche.
»Ich danke dir, Josh«, sagte ich. »Dafür
schulde ich dir was.«
»Na klar«, sagte er leichthin, als wäre das eine
Nebensächlichkeit. Das war es nicht: es war die Hauptsache.
Ted Panzardi war vorsichtig. Aber er kannte meinen Namen, und er
sprach lange genug mit mir, um zu einem Treffen in einem Restaurant
bereit
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