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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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»Van ist
krank. Er ist totenbleich. Er wird bald sterben.«
    »Wir werden alle bald sterben«, sagte ich, und noch als
ich die spöttisch-zynischen Worte aussprach, traf mich die
Wahrheit, die darin lag, mitten ins Herz. Ich konnte meinen Frieden
mit dem Tod machen, soviel ich wollte, oder ich konnte dagegen
wüten, soviel ich wollte – nichts davon würde irgend
etwas ändern. Ich würde in jedem Fall sterben –
früher oder später, mit Würde oder ohne, in hart
errungenem Frieden oder nicht, nachdem ich alles genau nach meinen
Vorstellungen arrangiert hatte oder nicht. Das Leben war zu
kompliziert für diese Art von Regie. Eigentlich war es nichts
als eine endlose Serie vertrackter Risiken, selbst für die
Alten.
    Ganz besonders für die Alten.
    »Laß uns nach Hause zurückkehren, Maggie«,
sagte ich. »Ich muß ein paar ernste Entscheidungen
treffen, und das möchte ich lieber daheim tun.«
    Sie wandte sich ab vom Fenster und kam zu mir. Als ihr Gesicht
über dem grünen Kleid wieder feste Gestalt annahm, sah ich,
daß sie lächelte. Und erst da, erst als Maggie mir in
dieser besonderen Weise zulächelte, da erkannte ich, daß
ich mich, ohne es zu beabsichtigen, für so lange wie nur irgend
möglich wieder den Lebenden zugesellt hatte.

20
    CAMERON ATULI
     
    Die Gefängniszelle hat einen Betonboden. Eigentlich ist die
Zelle ein komfortables Zimmer, keineswegs so, wie ich mir ein
Gefängnis vorgestellt habe. Wenn man von der versperrten
Stahltür und den fehlenden Fenstern absieht, wirkt sie wie eine
kleine Hotelsuite, die ohne Geschmack und Phantasie eingerichtet
wurde: Teppich und Sofa in Beige, Tisch und Stühle aus Ahorn mit
maschinellen Dreharbeiten, TV und zwei Betten in diskret getrennten
Alkoven für Shana und mich. Das Bad hat sogar eine Tür. Zu
dem Besteck, das mit unseren Mahlzeiten geliefert wird, gehören
auch Brotmesser.
    »Hier drin könnte ich aus einem Dutzend Dinge Waffen
machen«, stellt Shana mit Verachtung in der Stimme fest.
»In diesem Sofa stecken Spiralfedern aus Metall, um Himmels
willen!«
    »Und gegen wen würden Sie sie einsetzen?« frage ich
sarkastisch. Langsam geht sie mir schwer auf die Nerven. »In
acht Tagen haben wir kein einziges menschliches Wesen zu Gesicht
bekommen!« Unsere Essentabletts erscheinen dreimal täglich
durch einen schmalen Schlitz in der Tür. Und nichts, was Shana
unternommen hat – ob sie nun die Tabletts behielt oder nicht
behielt, einen der Stühle zertrümmerte, sich im Bad
einschloß oder vorgab krank zu sein – hat auch nur den
Schatten eines menschlichen Wesens auf den Plan gerufen.
    »Meine Güte, Atuli, was für ein weltfremder Spinner
Sie sind! Bis jetzt ist niemand aufgetaucht! Das heißt
doch nicht, daß nie jemand auftauchen wird! Und dann werde ich
vorbereitet sein, auch wenn Sie immerzu bloß jammern über
das, was unter dem Teppich ist.«
    »Es ist Beton!« sage ich, aber sie verdreht nur
die Augen. Sie ist nicht dumm, sie tut nur so. Der Boden besteht aus
Beton. Er hat überhaupt keine Elastizität. Ich kann nicht
darauf tanzen, ohne eine Verletzung zu riskieren, und jeder Tag, der
ohne Tanzen vergeht, ist ein Tag mehr, den meine Muskeln Zeit haben,
sich zu versteifen und zu schrumpfen.
    Ich tue, was ich kann. Ich drehe das Sofa herum, so daß die
Lehne mitten im Raum steht, und mache daran zweimal täglich
Übungen >an der Stange<. Pliés, battements,
ronds de jambe, développés. Aber ich kann auf
diesem Boden keine Drehbewegungen machen.
    »Und was ist, wenn ich Lust habe, auf dem Sofa zu sitzen?« fragt Shana, während sie mir spöttisch
zusieht.
    »Sie können es wieder zurückdrehen, sobald ich
fertig bin«, sage ich. Pliés, battements, ronds de
jambe, développés.
    »Bin doch kein dämlicher Möbelpacker!«
    »Hören Sie, Shana. Ich weiß, daß es Ihnen
widerstrebt, in diesem Kabuff festzusitzen, wie Sie es nennen. Aber
lassen Sie es nicht an mir aus. Ich bin beschäftigt.«
    »Ja, beschäftigt damit, mit Ihren niedlichen
Verrenkungen anzugeben, während unser eigener Staat uns als
Geiseln festhält!«
    Pliés, battements, ronds de jambe,
développés.
    »Wenn ich da rauskomme«, schäumt sie, »dann
decke ich die bis zum Arsch mit Klagen ein! Ich suche mir einen
gerissenen Anwalt, der meinen Fall gegen Erfolgshonorar
übernimmt, und dann schieße ich die ganze verkommene
Regierung ab! Ich mache einen solchen Gestank, daß es ihnen
leid tun wird, sich je mit mir angelegt zu haben!«
    »Denen tut es vermutlich schon jetzt leid,

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