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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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sein. Ich halte
mich daran fest und versuche ein plié. Es ist wenig
Platz hier, für grand battements reicht er nicht aus,
aber wenigstens strecken kann ich mich. Und wenn Shana mich durch die
Tür anbrüllt, kann ich das Wasser am Waschtisch und in der
Dusche aufdrehen und sie mit dem Geräusch
übertönen.
     
    Er kommt langsam herein, auf einen Stock gestützt. Ich merke,
daß er zumindest teilweise blind ist. Das wußte ich
nicht. Es ist ja das erste Mal, daß ich Doktor Nicholas
Clementi zu Gesicht bekomme.
    »He, Nick!« sagt Shana, und ich blicke sie
überrascht an. Ich wußte nicht, daß sie soviel
Sanftheit in ihre Stimme legen kann. »Setzen Sie sich
hierher.« Auf das Sofa, das wieder aufgestellt ist und mit dem
Rücken zur Wand steht.
    »Shana. Mister Atuli«, sagt Doktor Clementi
förmlich. Er läßt sich in die Sofakissen sinken und
schließt kurz die Augen. Er ist sehr schwach. Und doch ist er
allein hier – die erste und einzige Person, die in anderthalb
Wochen unsere Zelle betreten hat.
    »Sie sehen aus wie ausgekotzt, Nick«, sagt Shana.
»Hat diese französische Klinik nicht geholfen?«
    »Diese französische Klinik hat mir das Leben
gerettet«, sagt er, und jetzt sieht er sie amüsiert an. Er
ist schon sehr alt, aber äußerst sorgfältig gekleidet
– in jeder Hinsicht eine tadellose Erscheinung. Ich kann mir
nicht vorstellen, wie jemand wie er und jemand wie Shana einander
mögen können, aber es sieht ganz danach aus.
    »Ehrlich?« fragt sie. »Die haben Sie wieder
hingekriegt? Gratuliere. Und jetzt sagen Sie uns, was Sie für
uns tun wollen, und warum wir hier sitzen müssen wie die
Verbrecher! Ich habe ein illegales Vivifaktions-Labor aufgedeckt, zum
Geier! Das scheint keinem klar zu sein! Was soll die ganze
Scheiße eigentlich?«
    Wiederum dieser Ausdruck in Shanas Gesicht, dieses Erschauern.
    Doktor Clementi kann es sehen, er sitzt ganz nah bei ihr. Er nimmt
ihre Hand. »Ja, Sie haben tatsächlich ein illegales
Vivifaktions-Labor aufgedeckt. Und noch etliches darüber hinaus.
Shana, Mister Atuli, ich muß euch eine Menge erzählen,
aber ich kann nicht sehr lange sprechen, ohne zu ermüden. Also
bitte schweigen Sie und lassen Sie mich alles sagen, was ich sagen
muß, ohne mich zu unterbrechen.«
    Sein geschwächter alter Körper regt sich nicht. Doch mir
scheint es fast, als würde er sich konzentrieren und alle
Kräfte zusammennehmen für einen großen Sprung: einen grand jeté, eine cabriole derrière.
    »Shana, ich kann Sie in die reguläre Armee bringen.
Cameron, Sie können nach Aldani House zurückkehren und dort
in Ruhe tanzen, wenigstens für eine Weile. Aber es gibt einen
Preis für beides, und das ist er: Shana, Sie dürfen gegen
niemanden Klage einreichen oder…«
    »Wieso wissen Sie, daß ich darüber geredet
habe?« unterbricht ihn Shana. »Dieses Loch ist verwanzt!
Und Sie machen da mit!«
    »Ja zu Nummer eins. Nein zu Nummer zwei. Seien Sie still und
hören Sie zu. Sie können nicht klagen und Sie können
Ihre Geschichte nicht den Medien verkaufen. Und Sie können auch
dann niemanden mit dieser Sache erpressen, wenn man Sie aus der Armee
rauswirft wegen irgendeiner Subordination, die damit überhaupt
nichts zu tun hat, zu der Sie aber leider neigen, wie ich
weiß.
    Und Sie, Mister Atuli, werden wohl mit dem Wissen leben
müssen, daß dort draußen zahllose Ersatzbabies
herumlaufen, die Ihre Gesichtszüge tragen. Man wird sie nicht
zusammenfangen und töten, und so muß früher oder
später ein Reporter irgendwo auf eines stoßen und das
Gesicht erkennen, und dann wird die Sache durch alle Medien der Welt
gehen. Danach werden Sie nicht mehr in der Lage sein, einfach nur zu
tanzen. Denn jedesmal, wenn Sie den Fuß auf eine Bühne
setzen, wird Ihr Publikum nicht nur Ihre Kunst sehen, sondern Ihre
Person als traurige Berühmtheit, und Sie werden keine
Möglichkeit haben, den Leuten zu sagen, daß Sie diese
Scheußlichkeit nicht freiwillig über sich ergehen
ließen.«
    »Und wenn ich«, presse ich heraus, »wenn ich mit
diesem… Preis… nicht einverstanden bin?«
    »Die Alternative dazu sieht so aus, daß die ganze
Geschichte jetzt veröffentlicht wird und Ihnen nicht einmal
diese Atempause ungewisser Länge gegönnt ist, während
der Sie friedlich tanzen können, ohne daß die Medien jede
Ihrer Vorstellungen auf eine Nebensache reduzieren.« Der alte
Mann sieht mich mit seinen blinden Augen unverwandt an. »Tut mir
leid für Sie, Cameron. Es sind keine erfreulichen

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