In grellem Licht
erschreckende Absinken der
Geburtenraten auf der ganzen Welt. Und dieser Arbeitskreis wird das
nicht in der wenig wirksamen Weise vorangegangener Konferenzen tun,
sondern mit einer kühnen neuen Ausrichtung: einer konzentrierten
Attacke auf die Bioakkumulation synthetischer Chemikalien, die
möglicherweise das endokrine System des Menschen
zerrütten.«
Möglicherweise. Selbst jetzt hielt Van sich nach allen
Seiten hin bedeckt. Er stand am Rednerpult, die Hände dagegen
abgestützt wie gegen starken Wind, und zog das Auge der Kamera
mit jener geradezu magnetischen Anziehungskraft an, die ihn nie im
Stich ließ. Sie hatte ihn nicht einmal in der luxuriösen
Zelle der Bundeshaftanstalt Cunningham verlassen, wo Shana, Cameron
und ich ihm unsere Entscheidung mitgeteilt hatten.
» Das könnt ihr nicht tun, Nick! Mein Gott, ihr
habt ja keine Vorstellung von den wirtschaftlichen folgen…
überlegt doch! Überlegt doch einmal: die synthetischen
Chemikalien auf eurer Verdächtigenliste sind doch in allem
enthalten – und ich meine tatsächlich in allem! –, was in diesem Land produziert und verwendet wird! In Plastik, in
Werkzeugen, in Shampoos, in Treibstoffen, in
Nahrungsmittelverpackungen, in Kunstdünger, in
Lösungsmitteln… Eine solche ernsthafte, vom Staat
finanzierte wissenschaftliche Untersuchung, von der ihr sprecht,
würde… Die Folge wären Panikmache und hysterische
Reaktionen seitens der Konsumenten, tiefgreifende Veränderungen
bei den Herstellerrichtlinien, Verbote und zusätzliche Kosten.
Das verkraften wir nicht, Nick! Die Wirtschaft ist schon jetzt sehr
brüchig – sie könnte zusammenbrechen. Nicht schwanken
– zusammenbrechen!«
»Und die gegenwärtige Regierung mit ihr«, sagte
ich. »Dich eingeschlossen. Ja, ich weiß. Aber so sieht nun
mal unsere Entscheidung aus. Wenn ihr dafür sorgt, daß die
wahre Wissenschaft fortgeführt werden kann – offen und mit
staatlicher Legitimierung –, dann werden Shana, Cameron und ich
nichts über die widerrechtlichen Ableger dieser Wissenschaft
verlauten lassen, die ihr duldet, um die DNA-Forschung am Leben zu
erhalten.«
»Ja, das ist der Preis dafür«, kreischte
Shana.
»Das ist unsere Entscheidung«, sagte Cameron leise,
verschränkte seine Finger und betrachtete seine
tanzgestählten Füße.
»Wie lautete seit undenklichen Zeiten«, tönte Van
auf der Bühne, »die wichtigste Frage jeder menschlichen
Zivilisation? Sie lautete: >Wie wird es unseren Kindern
ergehen?< Wenn die Kinder gedeihen, gedeiht auch die Gesellschaft.
Wenn die Kinder krank werden und sterben wie im Laufe der zahlreichen
schrecklichen Seuchen der Menschheitsgeschichte, verliert die
Gesellschaft den Mut, und damit stirbt auch ein Teil von ihr.
Und an diesem Punkt stehen auch wir jetzt. Nicht, weil unsere
Kinder sterben, sondern weil sie nicht geboren werden. Ohne eine
nächste Generation ist jedoch auch die jetzige verloren –
ohne feste Verankerung und krank in jenem Teil von uns, der am
menschlichsten ist. Keine Gesellschaft kann florieren, der es
verwehrt ist, ihre Zukunft in den kleinen Gesichtern ihrer Kinder zu
sehen, diese Zukunft abends ins Bettchen zu legen und warm zuzudecken
und sie im Strahlen unschuldiger junger Augen zu erblicken. Und das
ist der Grund, warum kein Preis auf der Welt zu hoch ist, um diese
menschliche Tragödie zu erforschen, die über uns alle
gekommen ist. Kein Preis der Welt!«
»Ich glaube nicht, daß dir klar ist, was du da von
mir verlangst«, hatte Van zu mir gesagt. »Ich glaube nicht,
daß dir wirklich klar ist, was es heißt, sich mit den
Herstellern der synthetischen Chemikalien anzulegen. Und dabei gibt
es keine echten Beweise, daß es sich hierbei tatsächlich
um die Ursache handelt. Nick, du weißt das! Ein rundes Dutzend
miteinander wetteifernder Theorien…«
»Es ist aber unsere Entscheidung«, wiederholte Shana
mit Befriedigung in der Stimme. Sie war ein Kind, das einen
kindlichen Triumph auskostete – sie, Shana Walders, zwang die
Regierung der Vereinigten Staaten, sich nach ihr zu richten!
Van und ich sahen einander an. Wir alten Männer
wußten genau, was hier wirklich vor sich ging: Es gab gar keine
Entscheidung. Hätte ich gesagt: »Nein, Van, vergiß
die Bestechungsversuche, wir machen die üblen Dinge publik, die
du vertuschst…!« – hätte ich das gesagt,
wären Shana, Cameron und ich nie mehr aus diesem Gefängnis
herausgekommen. Und das alles auf mehr oder weniger legale Weise:
Anklageerhebung, keine
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