In guten wie in toten Tagen
den sie stolz sein konnte, um den sie ihre Freundinnen beneideten. Aber wenn die anderen auf ihn herunterschauten und hässliche Dinge über ihn erzählten, dann wollte sie ihn nicht mehr. Egal, ob die Geschichten wahr waren oder nicht. Dann ist es aus und vorbei. Dann bin ich weg.
Genau wie Papa, dachte Cara. Helena ist ganz genau wie Papa, ich wollte es nur nie wahrhaben. Sie hat mir geholfen und hat mich aufgebaut und mich unterstützt, weil sie wusste, dass ich sie bewundere und alles für sie tun würde. Weil sie wusste, dass ich sie mehr als alles auf der Welt liebe. Das tut doch gut, wenn man jemanden hat, der einen so bedingungslos verehrt. Der tut, was man will.
Sie hat mich benutzt, dachte Cara. Ich habe Tom umgebracht. Ihr zuliebe.
Und jetzt?, dachte sie. Was jetzt? Sie legte den Kopf an die Fensterscheibe, spürte das kühle Glas an der Wange. Vitali schaute zu ihr herüber. Lächelte ihr zu. Dann schlief sie ein.
Sie wachte erst wieder auf, als er den Motor abstellte.
Ein einsamer Parkplatz, umgeben von Bäumen. Kein Auto außer ihrem.
»Wo sind wir?«, fragte Cara. Ihre Stimme hörte sich rau und fremd an.
»Siehst du gleich«, sagte er. »Komm mit.«
Er stieg aus und wartete, bis sie ebenfalls ausgestiegen war. Und neben ihm stand. Da nahm er ihre Hand und ging los.
Sie gingen über den großen Platz auf einen Hügel zu. Eine Düne, erkannte Cara, als sie näher kamen. Eine verwitterte Holztreppe führte nach oben. Sie gingen Hand in Hand durch die Dunkelheit. Stiegen die Stufen hoch und auf der anderen Seite der Düne wieder runter und waren am Strand. An einem unendlich weiten, unendlich breiten, unendlich leeren Nordseestrand. Hell im Dunkel der Nacht.
»Du wolltest doch mit mir ans Meer«, sagte Vitali. Er bückte sich und zog seine Schuhe aus. Sie streifte ihre Sandalen ebenfalls von den Füßen. Und spürte den Sand unter den Füßen, er war warm von der Sonne, die den ganzen Tag geschienen hatte.
Sie gingen schweigend ans Wasser. Das Meer war ruhig, sanfte Wellen schwappten leise auf und ab, schwappten auf sie zu wie kleine Hunde, die an ihren Füßen lecken wollten. Über dem schwarzen Wasser wölbte sich ein hoher Sternenhimmel und in der Mitte stand die Mondsichel.
»Hast du Lust zu schwimmen?«, fragte Vitali.
»Unbedingt.«
Sie wandten sich voneinander ab, als sie sich auszogen. Zuerst das T-Shirt, dann die Jeans, Cara zögerte einen Moment, bevor sie auch Slip und BH auszog. Darauf kam es nun auch nicht mehr an. Sie blickte sich nicht zu ihm um, sondern watete ins Meer. Und fühlte das Wasser kalt und seidenweich an ihren Knöcheln, den Waden, den Schenkeln und warf sich nach vorn und tauchte unter.
Als sie wieder auftauchte, war er neben ihr. Sein Gesicht glitzerte nass. Er streckte seine Hand aus und strich ihr über die Wangen.
»Schön«, sagte Cara und Vitali nickte.
»Und schade«, sagte sie.
»Was?«
»Dass alles so enden musste.«
»Das ist doch nicht das Ende«, sagte Vitali. »Es fängt doch gerade erst an.«
Sie schwamm ein Stück weg von ihm, drehte sich auf den Rücken und ließ sich auf den Wellen treiben. Das Wasser trug sie. Es fühlte sich nicht mehr kalt an.
Cara blickte hoch zu den Sternen, die den Himmel sprenkelten. Nach einer Weile kamen sie immer näher, sie flogen auf Cara zu. Sie stellte sich vor, dass sie mit ihrem Zeigefinger über das Firmament strich und sie aufleckte wie Schokostreusel.
»Wir können nicht ewig weglaufen«, sagte sie zu den Sternen. »Ich muss mich stellen.«
Sie schloss die Augen und hoffte auf Vitalis Widerspruch. Hoffte auf einen genialen Plan, den er sich auf dem Weg hierher ausgedacht hatte. Mit dem er sie überzeugen, mit dem er sie retten würde. Mach dir keine Sorgen, alles halb so schlimm.
»Ich werde dich besuchen. Ich werd auf dich warten«, sagte Vitali. »Bis du wieder rauskommst.«
Cara drehte sich abrupt auf den Bauch, schluckte Wasser und hustete. Schwamm zurück zum Ufer, bis sie wieder Sand unter den Füßen hatte. Sie ging in die Hocke, weil das Wasser wärmer war als die Luft.
»Das klappt doch nicht«, sagte sie. »Das weißt du doch so gut wie ich. Denk an Sergej. Wie fremd er dir geworden ist. Und mich kennst du nicht halb so gut wie ihn.«
»Es klappt. Mit dir. Und mit Sergej auch. Wir müssen es nur wollen. Du musst es wollen, ich bin ziemlich hartnäckig, wenn’s drauf ankommt.«
»Hast du schon mal drüber nachgedacht, was los ist, wenn alles rauskommt? Wenn die Leute erfahren, dass ich
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