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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Meyer
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sich küssen. »Komm mit nach oben«, flüsterte er.
    »Nein.« Wieder löste Helena sich von ihm. »Nicht heute Nacht. Ich hab noch eine Verabredung.«
    »Was? Das ist ein Witz, oder?«
    »Kein Witz. Ich fahr noch zu Isy.«
    »Nach Boston?«
    »Sie ist hier in Geldern.«
    »Bitte? Was macht sie denn hier?«
    »Topsecret. Wir sehen uns morgen. Und denk an das, was ich gesagt habe. Tu mir das nie wieder an.«
    Er zog sie noch einmal an sich, er flüsterte ihr etwas ins Ohr, das Cara nicht verstand. Dann ging er zurück ins Haus und Helena schloss ihr Auto auf. Sie stieg aber nicht ein. Sie drehte sich langsam um und sah Cara an. Sie sah Cara an, die in ihrer Mauernische stand und sich nicht rührte. Und sich fragte, ob Helena sie wirklich bemerkt hatte, oder ob sie einfach nur ins Leere starrte und über Tom nachdachte und über das, was sie über ihn erfahren hatte.
    Dann lächelte Helena. Ein heiteres, fröhliches, fast verschwörerisches Lächeln. Und Cara lächelte unwillkürlich zurück. Da nickte Helena und stieg ins Auto und fuhr weg.
    Und Cara war allein. Sie ließ sich in ihrem Versteck in die Hocke sinken, umklammerte die Knie mit den Händen und zitterte. Und fragte sich, wie es nun weiterging.
    Helenas Blick. Ihr Lächeln. Das war kein Zufall gewesen.
    Das war eine Botschaft.
    Du und ich, wir gehören zusammen, sagte das Lächeln. Egal, was passiert. Nichts kann uns trennen und nichts darf uns trennen, sagte das Lächeln. Was immer ich gerade eben über dich gesagt habe, dass du fertig und neurotisch bist, ist unwichtig.
    Tu etwas, sagte das Lächeln. Lass es nicht zu, dass Tom mich in den Dreck zieht. Wegen so einer wie May. Wegen Ronja. Oder wegen einer anderen. Cara umklammerte ihre Knie mit ihren Armen, sie hielt sich selbst fest, sie riss sich zusammen. Tom würde Helena heiraten und sie ihr wegnehmen, das stand fest. Bisher hatte Cara das akzeptiert, weil sie es akzeptieren musste, aber nun wusste sie mehr. Nun wusste sie, dass Tom nicht gut war. Nicht gut genug für Helena. Und dass Helena das genauso sah.
    Tom würde Cara Helena wegnehmen. Aber ohne Helena war Cara nichts mehr, ohne Helena war sie eine leere Plastiktüte, die der Wind durch die Straßen bläst, bis sie irgendwann irgendwo hängen bleibt. Ohne Helena war sie Müll.
    Sie blieb lange in dem Hauseingang hocken. Die Arme um die Beine geschlungen, den Kopf auf die Knie gesenkt, saß sie da. Und dachte darüber nach, wie sie ihr Leben ohne Helena weiterleben sollte und warum sie es weiterleben sollte und fand keinen einzigen Grund, der dafür sprach.
    Als sie auf ihre Armbanduhr schaute, war es kurz nach halb vier. Sie musste eingeschlafen sein. Sie stand auf und streckte sich und hatte das Gefühl, dass rostige Nägel in ihren Gelenken steckten. Ihr war kalt und sie fühlte sich noch hoffnungsloser und elender als zuvor.
    Sie blickte hoch zu Toms Fenster und sah, dass dort immer noch Licht brannte. Und sah jemand ans Fenster treten und rausschauen und wieder weggehen, vielleicht war es Tom, vielleicht war es auch jemand anderes.
    Ihre Finger waren eiskalt. Sie steckte ihre Hände in die Hosentaschen und stieß auf die Haarnadel in der linken Tasche. Sie hatte sie auf dem Boden im Wohnzimmer gefunden, als sie vorhin aufgeräumt hatte. Und eingesteckt. Und nun lag die Nadel hier in ihrer Hand und war kühl und glatt. Sie bohrte die Nadelspitze in ihren Zeigefinger. Und betrachtete den runden schwarzen Blutstropfen, der aus ihrem Finger quoll.
    Sie leckte das Blut ab. Und plötzlich wusste sie, was sie tun würde. Was sie tun musste. Dass sie Tom bestrafen würde und dass sie ihm eine Lehre erteilen würde, die er nie mehr vergessen würde.
    Sie klingelte und Sekunden später begann die Tür zu summen. Tom hatte noch gar nicht geschlafen, dachte Cara. Er wartete darauf, dass Helena es sich anders überlegte und zu ihm zurückkam, wahrscheinlich hatte er ihr das zugeflüstert, als er sich von ihr verabschiedet hatte. Ich warte auf dich.
    »Überraschung«, murmelte Cara und schob sich ins Haus. Und machte kein Licht an, sondern ging im Dunkeln die Treppen hoch. Sie ging lautlos und sie berührte nichts, sie hielt die Haarnadel in ihrer Hand und hielt sich daran fest.
    Sie hörte, wie oben seine Wohnungstür aufging und dann wurde das Licht angeschaltet. »Helena?«, rief er leise.
    »Ich bin’s«, gab Cara genauso leise zurück und lächelte, weil ihre Stimme genau wie Helenas Stimme klang.
    Seine Tür stand offen, sie zog sie hinter sich

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