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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Meyer
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Fliedner.
    »Mit zwei Komma eins Promille ist man schuldunfähig. Wenn Cara den Mund gehalten hätte, hätte man es so hindrehen können, dass Helena sturzbetrunken war und Tom im Suff umgebracht hat.«
    »Aber sie war es doch gar nicht!«, rief Cara empört.
    »Das spielt doch überhaupt keine Rolle, ob sie es getan hat oder nicht! Recht haben und recht bekommen sind zwei unterschiedliche Paar Stiefel, falls du das noch nicht wusstest.«
    »Für mich spielt es schon eine Rolle, ob sie ihn umgebracht hat oder nicht«, sagte Cara und hasste sich selbst noch mehr, als sie ihren Vater hasste, weil sich ihre Stimme so dünn und lächerlich anhörte und ihre Augen voller Tränen standen.
    »Ach ja? Also, wenn Tom wirklich mit seinen Schülerinnen rumgemacht hat und Helena hat davon erfahren, dann kann ich sie verstehen. Dann wäre ich auch durchgedreht, da kannst du aber Gift drauf nehmen.«
    Das musst du mir nicht erzählen, dachte Cara. Das weiß ich auch so, dass du ausgerastet wärst. Aber Helena ist nicht wie du. Helena doch nicht.
    »Ab jetzt erzählst du der Polizei gar nichts mehr, hörst du? Du bist Helenas Schwester, du hast das Recht zu schweigen, und das tust du auch. Und gegenüber der Presse haltet ihr auch den Mund, alle beide, ist das klar? Das sind Aasgeier da draußen, das sind Verbrecher. Die tun so, als ob sie auf deiner Seite sind und dann hauen sie dich in die Pfanne.«
    »Natürlich«, flüsterte Frau Fliedner.
    »Wenn ihr euch nicht zusammenreißt«, sagte ihr Exmann düster, »dann landet Helena im Knast und zwar jahrelang. Das ist kein Spaß hier.«
    »Natürlich nicht«, wisperte Frau Fliedner. »Das weiß ich doch.«
    »Dann ist es ja gut.«
    »Was geschieht denn jetzt?«, fragte Cara.
    »Hab ich doch schon gesagt. Morgen ist der Termin beim Haftrichter. Frank – also Dr.   Pechan, Helenas Anwalt – ist überzeugt, dass er Helena wieder rauskriegt – zur Not auf Kaution. Man muss auf jeden Fall versuchen, die Sache runterzukochen. Und dann sehen wir weiter. Ein Schritt nach dem anderen.«
    »Na, dann mach mal«, murmelte Cara und wollte aus der Küche, aber im letzten Moment hielt ihr Vater sie fest. Er packte sie am Oberarm, nicht besonders hart, aber es genügte. Es genügte, dass eine Welle von Übelkeit und Panik Cara überschwemmte und fast von den Füßen riss. Ihr Vater schien es zu bemerken, jedenfalls ließ er sie sofort los. Und wirkte einen Moment lang unsicher, aber dann war es wieder vorbei.
    »Halt dich zurück, Cara«, sagte er leise. »Helena hat es schwer genug.«
    Sie nickte und senkte die Augen, wenn man ihn anstarrte, fühlte er sich provoziert. Sie wollte ihn aber nicht provozieren, sie wollte, dass er sie in Ruhe ließ, ein für alle Mal.

7
    Als sie in ihr Zimmer trat, begann es zu regnen. Das Wasser lief in Schlieren über die Scheiben, ein Gewirr an nassen Linien, und dahinter wurde es langsam dunkel.
    So viele Spuren. So viele Hinweise, so viele Gefühle, aber ich darf mich nicht verwirren lassen, dachte Cara. Ich muss mir in diesem Chaos ein genaues Bild machen. Herausfinden, was wirklich geschehen ist.
    Ein genaues Bild.
    Aber wo sollte sie anfangen?
    Am Ort des Geschehens, dachte sie. Sie musste sich einen Eindruck vom Tatort verschaffen. Oder wenigstens von dem Haus, in dem das Ganze passiert war.
    Natürlich waren inzwischen alle Spuren beseitigt. Die Leiche war in der Pathologie, die Wohnung war versiegelt. Trotzdem. Sie würde noch heute Abend dorthin fahren.
    Tom wohnte in der Arminstraße. Hatte in der Arminstraße gewohnt, korrigierte Cara sich in Gedanken. Die Hausnummer kannte sie nicht, aber sie erinnerte sich an das Haus. Helena hatte sie einmal mitgenommen, als sie Tom etwas vorbeibringen musste. Cara war aber nicht mit nach oben gekommen, sie hatte im Auto gewartet, bis Helena wieder zurückgekommen war. Eine Wohngegend mit Mehrfamilienhäusern. Ein hellgelbes Haus.
    Als sie die Treppe hinunterschlich, hörte sie die Stimme ihres Vaters aus der Küche. Er sprach nicht laut, dennoch klang er wütend. »Aber du musst doch zugeben, Annegret, dass es die einzige Lösung war«, sagte er. Und dann ein Schluchzen, das war ihre Mutter. Wie früher, genau wie früher.
    Cara pflückte den Autoschlüssel vom Schlüsselbrett neben der Tür, schlüpfte gleichzeitig in ihre Chucks und floh.
    Zum Glück waren wenigstens die Reporter weg. Wahrscheinlich hatte sie der Regen vertrieben. Oder die Verwünschungen und Drohungen, die Caras Vater über sie ausgeschüttet

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