In guten wie in toten Tagen
Reaktion abzuwarten.
Zögernd folgte Cara ihr und trat in eine glitzernde, funkelnde Zauberhöhle. Die Frau hatte ganz offensichtlich eine Schwäche für Indien. Die Wände waren mit bestickten Tüchern bedeckt, in die Spiegel, Glöckchen und bunte Glassteine eingearbeitet waren. Von der Decke hing ein Lampion aus rotem Papier. Es roch nach Räucherstäbchen und Kräutertee.
»Kommen Sie«, rief die Frau noch einmal.
Cara trat durch einen Perlenvorhang in ein kleines Wohnzimmer. Auch hier funkelten Glassteine, Spiegel, Messingleuchter. Auf einem Altar thronte eine riesige Göttergestalt aus Messing, die ihre sechs Arme in alle Richtungen reckte. Davor saß die kleine Frau im Schneidersitz auf einem Kissen und musterte Cara wieder mit ihrem durchdringenden Blick. »Bitte«, sagte sie und wies auf die Kissen, die überall herumlagen.
»Ich heiße Ula«, erklärte sie, nachdem auch Cara Platz genommen hatte.
»Ulla?«
»Uuuula«, korrigierte sie die Frau und verzog das Gesicht. Offensichtlich war Cara nicht die Erste, die ihren Vornamen falsch aussprach.
»Ich bin Cara.«
Die Frau nickte. »Ich habe ihn gefunden.«
»Sie waren das?«, fragte Cara aufgeregt. »Und haben Sie auch gesehen, was passiert ist?«
Die Frau legte den Kopf schief, sie sah aus, als ob sie angestrengt nachdächte.
»Ich bin aufgewacht. Und habe sofort gespürt, dass etwas nicht stimmt. Dass da jemand ist, dass da etwas passiert ist. Eine große Wut habe ich gespürt.«
»Sie waren wütend?«, fragte Cara.
»Nicht ich. Ich wusste, dass da jemand ist. Und bin zur Tür und hab durch den Spion geguckt. Im Treppenhaus war alles dunkel. Und trotzdem. Ich merke sofort, wenn etwas nicht stimmt.«
»Und dann? Haben Sie die Polizei gerufen?«
»Ich bin raus. Unten hat jemand das Haus verlassen, das hab ich gehört. Und da hab ich gesehen, dass seine Tür offen stand. Hab gerufen, aber er hat nicht reagiert, natürlich nicht, er war ja schon tot.«
»Und dann?«
»Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich stand eine Weile da draußen und spürte die Energie, spürte die Gewalt und den Tod. Und wusste nicht, ob ich die Wohnung betreten sollte. Ich hatte Angst.«
»Aber dann sind Sie doch rein.«
Ula nickte. »Er lag im Wohnzimmer auf dem Rücken. In seinem Auge steckte etwas. Eine Nadel.«
»Wie bitte, was?«
»Eine Haarnadel«, sagte Ula. »In seinem linken Auge. Und überall war Blut. Ich hab nichts angefasst. Aber ich hab alles gesehen.«
»Tom wurde mit einer Haarnadel erstochen?«
Deshalb hatte die Polizei aus Helenas Zimmer die Dose mit den Haarnadeln mitgenommen.
»Nein. Er wurde erschlagen. Neben ihm lag eine Hantel. Sie war voller Blut. Damit hat der Mörder zugeschlagen.«
»Wie schrecklich.«
Ula starrte sie an.
Cara fühlte sich plötzlich sehr unbehaglich. Diese Frau benahm sich so seltsam. Vielleicht war sie ja nicht ganz bei Trost. Vielleicht hatte sie Tom sogar umgebracht. Und jetzt wollte sie auch Cara aus dem Weg räumen.
»Ihre Schwester war hier«, sagte Ula jetzt.
»Haben Sie sie gesehen?«
»Ich habe eine Frauenstimme gehört. Und einen Mann, das war er.«
»Gerade eben haben Sie nichts von Stimmen gesagt. Sie haben erzählt, dass sie aufgewacht sind und gespürt haben, dass da jemand ist. Und jetzt wollen Sie Stimmen gehört haben?«
»Ich habe Sie auch gespürt«, sagte Ula. Ihre Augen flackerten. Sie war verrückt, nun war sich Cara ganz sicher. »Gerade eben. Deshalb bin ich rausgekommen.«
Cara fröstelte. Eine Psychopatin. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.
»Hat Ihre Schwester etwas mit der Sache zu tun?«
»Wie kommen Sie darauf?«
Ula antwortete nicht.
»Helena war das nicht«, sagte Cara. »Sie ist unschuldig.«
»Sie wäre nicht glücklich mit ihm geworden«, sagte Ula langsam. »Er war kein guter Mensch. Er hat noch einen weiten Weg vor sich bis zur Erlösung.«
»Wie kommen Sie darauf, dass er kein guter Mensch war? Kannten Sie ihn gut?«
»Ich hab gesehen, wie er gelebt hat.«
»Wie hat er denn gelebt?«
Aber auch auf diese Frage bekam sie keine Antwort.
»Haben Sie ihn umgebracht?«, fragte Cara.
Ula lächelte traurig. »Ich bin Hindu. Ich lehne Gewalt ab. Ich könnte niemandem etwas zuleide tun.«
Sie faltete die Hände vor der Brust, die Fingerspitzen wiesen zur Decke. Dann schloss sie die Augen und begann leise zu summen und Cara hätte sich nicht gewundert, wenn sie vom Boden abgehoben und zur Zimmerdecke geschwebt wäre.
»Was wissen Sie, Ula?«
»Nichts. Ich weiß
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