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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Meyer
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hatte.
    Erleichtert schloss Cara den Wagen auf und ließ sich auf den Fahrersitz sinken. Machte die Augen zu und lauschte ein paar Minuten lang dem Geprassel der Tropfen auf der Windschutzscheibe. Ein friedliches Geräusch, wie Feuer in einem Kamin.
    Dann fuhr sie los.
    Sie war keine gute Autofahrerin. Im Gegensatz zu Helena, die ihre Fahrprüfung nach ein paar Fahrstunden bestanden hatte, hatte Cara unzählige Fahrstunden und drei Anläufe gebraucht, bis sie den Führerschein hatte.
    Sie fuhr auch nicht gerne. Wenn es sich irgendwie einrichten ließ, nahm sie das Fahrrad oder den Bus. Aber Toms Wohnung lag am anderen Ende der Stadt und der Regen war inzwischen noch stärker geworden.
    Die Scheibenwischer klackten hektisch hin und her. Das Licht ihrer Scheinwerfer spiegelte sich in der regennassen Straße wie in einem Fluss. Die Lichter der entgegenkommenden Wagen wurden vom Regen zerfetzt. Cara fuhr Schritttempo, bis hinter ihr ein Fahrer hupte.
    Sie war schweißgebadet, als sie in der Arminstraße ankam. Und fand keine Parklücke, jedenfalls keine, die groß genug für sie gewesen wäre. Schließlich parkte sie in einer Nebenstraße vor einem Supermarkt. Bis sie Toms Haus erreicht hatte, war sie vollkommen durchnässt.
    Die Haustür war natürlich zu. Sie drückte auf einen der oberen Klingelknöpfe.
    »Hallo?«, fragte eine Frauenstimme durch die Gegensprechanlage.
    »Werbung«, sagte Cara und drückte die Tür erleichtert auf, als sie zu summen begann. »Danke!«, schrie sie nach oben. Sie trat ein und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Hielt die Luft an. Wartete. Werbung. Nachts um zehn. Die Leute nahmen einem aber auch wirklich alles ab.
    Die Lampe über ihr flackerte und dröhnte, ansonsten war alles still. Sie machte sich auf den Weg nach oben, las die Schilder an den zwei Türen in der ersten Etage. Und ging weiter. Atmete den muffigen, spießigen Geruch ein, der in der Luft lag, Putzmittel mit Zitronenduft vermischt mit Zigarettenrauch, vermischt mit Gemüsesuppe.
    Auf der Treppe zum zweiten Stock ging die Treppenhausbeleuchtung aus. Sie ging ein paar Schritte zurück, streckte die Hand bereits nach dem Lichtschalter aus, aber dann hielt sie inne. Kein Licht, dachte sie. Vielleicht hatte sich der Mörder ja auch im Dunkeln genähert.
    Es war ja nicht einmal ganz dunkel, durch die Fenster fiel immer noch trübes Dämmerlicht und in jedem Stockwerk gab es eine kleine runde Notlampe. Ein wachsames Auge.
    Leise setzte sie einen Fuß vor den anderen und lauschte. Aus einer der Wohnungstüren drangen Schreie, dann laute Musik. Der Fernseher. Hinter einer anderen Tür wurde gestritten. Kanzler, Hauff. Kein Schenker.
    Sie ging weiter, schob sich an einer vertrockneten Topfpflanze vorbei, die wie ein kleines Tier auf einem Holzschemel hockte und ihre Tatzen nach Cara ausstreckte.
    Im dritten Stock erkannte sie Toms Wohnung, ohne auch nur einen Blick auf das Klingelschild zu werfen. An der Tür klebte ein Polizeisiegel. Hier hatte er gewohnt. Hier war es passiert. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Tür, schloss die Augen und stellte sich vor, dass er auf der anderen Seite der Tür gelegen hatte. Vielleicht in einer Blutlache. Sie wartete auf ein Gefühl. Grauen, Mitleid, Angst, Trauer, irgendetwas. Aber sie empfand nichts.
    Es war dumm gewesen, hierherzukommen, dachte sie. Das hätte ich mir auch sparen können. Und entschloss sich gerade, wieder nach Hause zu gehen, als die Tür gegenüber aufgerissen wurde. Eine Frau stand im hell erleuchteten Rechteck der Tür. »Hallo?« Sie blinzelte ins dunkle Treppenhaus. »Ist da jemand?«
    »Ja«, sagte Cara. »Nicht erschrecken.« Und schaltete das Licht an.
    Die Frau starrte Cara aus großen dunklen Augen an, als wäre sie ein Geist. Sie war ziemlich klein, sie ging Cara nur bis zur Schulter. Alles an ihr war rundlich und weich; wilde Locken umwucherten ihr Gesicht wie ein struppiger Heiligenschein. Caras Blick wanderte zu dem Türschild neben ihrer Tür. »Engel« stand da. Wie passend.
    »Was wollen Sie?«, fragte Frau Engel.
    Cara räusperte sich. »Meine Schwester … sie war mit Tom … mit Herrn Schenker verlobt. Die beiden wollten heiraten, nächste Woche. Aber jetzt …«
    »Seine Braut.« Frau Engel nickte.
    »Kennen Sie Helena?«
    »Flüchtig«, sagte die Frau und starrte sie immer noch an. Sie schien auf etwas zu warten, aber worauf? »Kommen Sie«, sagte sie nach einer Weile und drehte sich einfach um und verschwand in der Wohnung, ohne Caras

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