In guten wie in toten Tagen
entgegen.
»Ich hab gesagt, Sie sollen mich in Ruhe lassen!«, zischte Cara, aber die Frau dachte gar nicht daran. Sie rückte Cara immer näher und drängte ihr diese blöde Karte auf, aber Cara wollte die Karte nicht und wollte auch nichts erzählen. Sie rempelte die Frau mit dem Ellenbogen in die Seite, sodass dieser vor Schreck die Karte aus der Hand fiel, und schob auch den Mann weg, der sich jetzt vor ihr aufbaute, die Kamera im Anschlag. »Ich werde Ihnen gar nichts sagen, überhaupt nichts!«
»Hallo!«, rief der Mann. »Sag mal, bist du noch ganz bei Trost?«
»Lass sie, die rastet gleich aus, das merkt man doch«, hörte Cara seine Kollegin noch sagen, dann war sie um die Ecke. Und beschleunigte ihre Schritte, bog in eine Seitenstraße, rannte und bog wieder ab und rannte weiter, bis sie sich sicher war, dass sie die Reporter abgehängt hatte.
Dann blieb sie stehen. Ihr Herz raste, als hätte sie einen Marathon hingelegt.
Lass sie, die rastet gleich aus. Vielleicht hatte der Typ sie gefilmt. Ihr wütendes Gesicht, als sie die Frau zur Seite geschubst hatte. Und wenn sie es im Fernsehen bringen, dachte Cara panisch. Schwester der Mordverdächtigen flippt aus. Genau wie die Verlobte, würden die Leute sagen. Die hat auch die Nerven verloren, ist ausgeflippt, hat ihren Bräutigam erschlagen. Es liegt in der Familie, würden sie sagen. Das ist der Beweis.
Wie kannst du dich nur so gehen lassen?, sagte ihr Vater.
Sie musste sich beruhigen. Die Reporter waren Nebensache, darauf kam es jetzt nicht an. Das Entscheidende war es, Licht ins Dunkel zu bringen. Den Mord aufzuklären. Helena aus dem Gefängnis zu holen. Darauf musste sie sich konzentrieren. Auf ihre Fragen. Auf Ronja.
Cara versuchte, sich alles ins Gedächtnis zu rufen, was sie über sie wusste. Aber abgesehen von der Magersucht war da nicht viel. Sie erinnerte sich nicht einmal mehr daran, was Ronja studierte. Am Samstag hatten sie noch darüber gesprochen, es war irgendetwas Langweiliges wie Volkswirtschaftslehre oder Jura oder BWL. Alles an Ronja war irgendwie langweilig. Das einzige Besondere war ihre Krankheit.
Eigentlich war es erstaunlich, dass Helena so gut mit ihr befreundet war. Sie und Ronja waren schon zusammen zur Grundschule gegangen und hatten sich auch nach dem Abitur nicht aus den Augen verloren.
Wahnsinn, dachte Cara. Helena und ihre Mädels kannten sich alle schon jahrelang. Isy hatte Helena im Kindergarten kennengelernt, Ronja, Viola und Julia in der Grundschule und May und Jacky waren dann im Gymnasium dazugestoßen. Die Hiphop-Company hatte ihre Freundschaft richtig besiegelt, die vielen gemeinsamen Proben, die Auftritte, das Lampenfieber. Cara war immer ein bisschen neidisch gewesen, wenn sie Helena und die anderen auf der Bühne gesehen hatte. Wie perfekt sie harmonierten. Wie gut sie zusammenpassten.
Als Helena nach dem Abitur die AG leitete, war auch Cara ein paar Monate lang zum Training gegangen. Aber sie hatten beide schnell eingesehen, dass es nicht ihr Ding war. Cara bildete einfach keine Einheit mit dem Rest der Gruppe. »Du bist und bleibst ein Einzelkämpfer«, hatte Helena gesagt, als Cara wieder ausgestiegen war.
»Ich wollte eigentlich gleich los«, sagte Ronja, als sie Cara die Tür öffnete. »Warum hast du denn nicht vorher angerufen?«
»Ich war gerade in der Nähe«, log Cara. »Aber wir können uns auch ein anderes Mal unterhalten.«
»Eine halbe Stunde hab ich noch.« Ronja führte Cara in ihr Zimmer, das erstaunlich bunt und fröhlich eingerichtet war. Vorhänge mit Erdbeermuster, bunt gestreifte Kissen auf einer himbeerfarbenen Couch und davor ein grüner Plüschteppich. »Ich mag Farben«, sagte Ronja und klang dabei, als wollte sie sich entschuldigen.
»Die Couch passt zu deinen Haaren«, sagte Cara. »Färbst du die eigentlich?«
»Quatsch! Alles Natur.« Ronja ließ sich aufs Sofa fallen. »Wie geht es Helena?«
»Hast du gehört, dass sie verhaftet worden ist?«
»Was, echt? Sie ist im Gefängnis?«
»In U-Haft. Der Anwalt ist aber zuversichtlich, dass sie bei der Haftprüfung wieder rauskommt.«
»Na, hoffentlich.«
»Es sieht alles ziemlich düster für sie aus«, meinte Cara. »Und deshalb will ich unbedingt rauskriegen, wo sie Samstagnacht noch war.«
»Natürlich«, sagte Ronja. »Ist ihre Erinnerung denn immer noch weg?«
Cara nickte. »Was hast du gemacht, als du von uns weg bist? Bist du direkt nach Hause?«
»Ehrlich gesagt, kann ich mich auch nur noch vage erinnern.
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