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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Meyer
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Julia hat, glaube ich, ein Taxi genommen. Aber wieso willst du denn das wissen? Du glaubst doch wohl nicht, dass eine von uns Tom umgebracht hat und es nun Helena in die Schuhe schieben will?«
    »Quatsch«, sagte Cara, obwohl sie wusste, dass das nicht stimmte. Weil sie genau das glaubte und auch erhoffte: dass es eine der anderen getan hatte, Ronja oder Julia oder May. Nur nicht Helena. »Ich will mir nur ein Bild machen. Ich will wissen, wie Tom war. Ob an dem, was May erzählt hat, was dran ist. Und ob Helena davon wusste.«
    Ronja nickte. Sie lehnte sich zurück und verschränkte ihre Hände im Nacken, sodass ihre dünnen Oberarme zwei spitze Dreiecke bildeten. Sie sah Cara an und schwieg.
    »Weißt du was?«, fragte Cara. »Über Tom und ob er wirklich was mit seinen Schülerinnen hatte?«
    Ronja öffnete den Mund, um zu antworten, aber es kam kein Ton heraus. Sie machte ihn wieder zu und schluckte. Und öffnete ihn wieder. Wie ein Goldfisch, den man aus seinem Glas geholt hatte.
    »Alles okay mit dir?«, fragte Cara.
    Ronja schüttelte den Kopf und schnappte wieder nach Luft und rang nach Worten, die nicht kamen. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß. Vielleicht hatte sie einen epileptischen Anfall oder eine Asthma-Attacke oder irgendetwas anderes Schreckliches, dachte Cara beunruhigt.
    »Soll ich Hilfe holen, Ronja? Brauchst du einen Arzt?«
    Ronja schloss die Augen. Schluckte noch einmal. »Ist schon gut«, stieß sie mühsam hervor. »Geht schon wieder.«
    »Was war denn los?«, fragte Cara und dachte: Bulimie. Das ist los. Die Fresserei und Kotzerei machen Ronja total fertig.
    »Er hat es nicht nur mit May … getan«, sagte Ronja.
    »Was?«, fragte Cara.
    »Tom. Er hat auch mit mir geschlafen.«
    »Tom hat … mit dir …? Er hat dich …?« Nie und nimmer, dachte Cara. Mit May meinetwegen. Das kann man sich vorstellen, dass ein Mann da schwach wird. Aber Ronja. Niemals hätte Tom sich an dir vergriffen. Schau dich doch bloß einmal an. Du bist ein Klappergerüst. Und dagegen die schöne, selbstbewusste, gesunde Helena.
    »Das Ganze ist schon sechs Jahre her. Tom war damals noch Referendar, wir hatten ihn in Sport und fanden ihn alle toll. Ich war total verknallt in ihn. Aber das Ganze war irgendwie … unwirklich. Ich meine, ich hab mir zwar vorgestellt, dass er mich küsst und mit mir auf eine einsame Insel fährt und so weiter. Aber ich hab nicht eine Sekunde damit gerechnet, dass er mich auch nur zur Kenntnis nimmt. Als Frau, meine ich. Oder als Mädchen. Was auch immer.« Sie unterbrach sich.
    Sei still, dachte Cara. Ich will das nicht hören, dachte sie. Aber natürlich sagte sie nichts und unterbrach Ronja auch nicht. Wer fragt, bekommt Antworten.
    Sie konnte Ronjas Gesicht nicht sehen, weil diese den Kopf immer noch gesenkt hielt, ihre Arme und der Nacken waren jetzt knallrot.
    »Aber er hat es bemerkt«, fuhr Ronja fort. »Wir hatten damals nachmittags Sport, der Unterricht war erst um fünf zu Ende. Und nach der Stunde haben wir noch gequatscht, er war total nett.« Ronja räusperte sich. »Und deshalb hab ich den Bus verpasst. Da hat Tom mich nach Hause gefahren. Er hat mich nicht angefasst oder so. Wir haben nur geredet. So fing das Ganze an.«
    »So fing es an«, wiederholte Cara. »Und wie ging es weiter?«
    »Wie so was eben geht. Irgendwann hat er mich geküsst und dann haben wir miteinander geschlafen. Es war … wunderschön. Ich meine, er war total vorsichtig und zärtlich. Und hat mir Briefe geschrieben und SMS und einmal sogar ein Gedicht. Am Anfang war alles wie ein Traum. Ich kam mir so besonders vor. Ausgerechnet mich hatte er ausgesucht, das war doch … Wahnsinn. Ich war so verliebt. – Und dann hab ich alles kaputt gemacht. Ich hab angefangen, Pläne zu machen.« Ronjas Kopf sank noch ein bisschen tiefer. »Ich wollte mich nicht länger heimlich mit ihm treffen. Ich wollte mich nicht länger verstecken.«
    »Was hast du dir vorgestellt?«, fragte Cara. »Dass er dich heiratet? Du warst doch höchstens sechzehn damals.«
    »Ich weiß auch nicht, was ich mir vorgestellt habe. Vielleicht wollte ich, dass er sich zumindest überlegt, wie es mit uns weitergeht. Na ja, hat er dann ja auch.«
    »Er hat Schluss gemacht«, stellte Cara fest.
    »Ganz genau.« Ronja nickte. »Er hat wohl kalte Füße bekommen, weil ich seine Schülerin war, von einem Tag auf den anderen. Er hat mich einfach fallen lassen. Und ich fiel auch, immer tiefer und tiefer. Ich konnte es einfach nicht fassen. Dass

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