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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Meyer
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aufgepasst. Cara dachte an Helenas Tränen, an ihre Verzweiflung, als Isy vor zwei Wochen angerufen hatte, um ihr mitzuteilen, dass sie nicht kommen konnte. Vielleicht hatte Helena damals schon geahnt, dass Isys Grippe ihr Leben zerstören würde.
    Ich hätte Isys Platz einnehmen müssen, dachte Cara dann. Ich hätte an ihrer Stelle auf Helena aufpassen müssen. Dass sie nicht nachts aus dem Haus läuft. Und in ihr Unglück rennt.
    Helena war so traurig gewesen, als Isy nach dem Abitur beschlossen hatte, in den USA zu studieren. Sie hatte alles versucht, um Isy zum Bleiben zu überreden. »Lass uns doch gemeinsam nach Münster gehen. Oder meinetwegen auch nach München. Wenn wir nur zusammen sind.«
    Aber Isys Notendurchschnitt war ziemlich schlecht, in Deutschland hätte sie jahrelang warten müssen, um Psychologie zu studieren. In den Staaten konnte sie dagegen sofort mit dem Studium beginnen. Das Ganze war absurd teuer, aber das spielte für sie keine Rolle. Herr von der Stein war ein erfolgreicher Patentanwalt, ihre Mutter kam ebenfalls aus reichem Haus und als einziges Kind verfügte Isy über grenzenlose Ressourcen. Isys Familie hatte Helena sogar angeboten, sie mit einem privaten Stipendium zu unterstützen, damit sie Isy begleiten konnte. Aber Helena wollte nicht. Sie wollte Lehrerin werden und befürchtete, dass ein amerikanischer Abschluss in Deutschland nicht anerkannt wurde. Vielleicht war sie auch wegen Tom in Deutschland geblieben, dachte Cara jetzt.
    Isy lebte nun schon fast drei Jahre in Amerika, aber mithilfe von Facebook und Skype hielten sie und Helena ihre Freundschaft aufrecht. Sie chatteten fast jeden Tag miteinander. Zweimal im Jahr kam Isy nach Deutschland und Helena hatte sie auch schon zweimal in Boston besucht. Im letzten Sommer war Helena mit Tom zusammengekommen und kurz danach hatte Isy Josh kennengelernt. Eine Zeit lang hatten Helena und Isy sogar von einer Doppelhochzeit gesprochen, aber dann hatten sich Isy und Josh wieder getrennt.
    Cara verschränkte ihre Hände im Nacken und erinnerte sich an ihre Eifersucht, wenn Helena mit Isy in ihrem Zimmer verschwunden war. Hinter verschlossener Tür lästerten sie stundenlang über Jungs, Lehrer und Klassenkameraden ab, kicherten, tratschten, hörten Musik. Und Cara blieb außen vor. Wie sehr sie sich eine Freundin wie Isy gewünscht hatte. Aber sie hatte nie eine gefunden. Sie hatte nur Helena.

13
    Als sie aufwachte, war sie nass geschwitzt, weil sie wieder geträumt hatte. Sie versuchte, sich an den Traum zu erinnern, aber es gelang ihr nicht. Nur ein kurzer Traumschnipsel war ihr noch im Gedächtnis. Dass sie durch einen Wald gelaufen war und gespürt hatte, dass jemand sie anstarrte. Der Beobachter ging hinter ihr, er verbarg sich nicht. Sie hätte sich nur umdrehen müssen, um ihn zu sehen. Aber sie hatte sich nicht umgedreht. Sie war schneller und schneller gelaufen, war weggerannt. Und dann aufgewacht.
    Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er mit nasser Watte vollgestopft. Sie beschloss, erst mal einen Espresso zu machen. Als sie die Kaffeemaschine anschaltete, fiel ihr die Verabredung mit Vitali ein. Um halb fünf bei mir. Ein Blick auf die Uhr, es war zwanzig nach vier. Sie schaltete die Espressomaschine wieder aus und rannte zur Tür.
    Es war Viertel vor fünf, als sie in Vitalis Straße aus dem Bus stieg. Sie hatte ihn noch nie besucht, aber er hatte ihr einmal sein Haus gezeigt. Jetzt war sie sich allerdings nicht mehr sicher. War es die hellrote oder die senfgelbe Mietskaserne am Ende der Straße? Beide Häuser hatten sechs Stockwerke und ein schwarzes Flachdach und vor jedem dritten Fenster hing ein Balkon, auf dem Satellitenschüssel und Wäschespinnen wucherten. Bis zu einer Höhe von zwei Metern waren die Fassaden mit Graffiti-Tags verschmiert.
    Sie entschied sich für das rote Gebäude und trat in den Hauseingang, um die Klingelschilder zu lesen. Bei mehr als der Hälfte fehlten die Namen oder sie waren so undeutlich geschrieben, dass Cara sie nicht entziffern konnte.
    Ein scharfer Pfiff ließ sie zusammenfahren. »Falsches Haus!«, schrie Vitali und winkte ihr vom Eingang des gelben Hauses zu.
    Auch er war gerade erst angekommen und außer Atem, weil er so schnell gefahren war. »Wir haben so verdammt viel zu tun«, erklärte er Cara. »Ich kam einfach nicht weg.« Er schloss die Haustür auf und nahm sein Rad auf die Schulter. »Ich bringe es nach oben«, meinte er, als er Caras Blick sah. »Sonst ist es weg. In dieser

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