In guten wie in toten Tagen
Sergej. Auf jeden Fall hatte er es plötzlich in den Händen. Und dann war Kilian tot.«
»Und Sergej kam in den Knast«, sagte Cara. »Scheiße.«
Vitali trank einen Schluck. »Ich war absolut sicher, dass er unschuldig ist. Dass einer von Kilians Kumpeln ihn reingelegt hatte oder so. Ich hab alles versucht, um Sergej zu entlasten. Aber es gab Zeugen, er hatte das Messer in der Hand, er hat wohl auch zugestochen. Sie haben ihn wegen Totschlags verurteilt.«
Das war’s, dachte Cara. Das wolltest du mir also sagen. Du wolltest mir zeigen, wie sehr man sich täuschen kann. In dem Menschen, den man am meisten liebt. Aber Helena ist nicht wie Sergej. Da liegst du falsch.
Das Gespräch schwappte noch ein bisschen hin und her. Marco und Vitali unterhielten sich über Sergej und die guten alten Zeiten, die dann doch wieder nicht so gut gewesen waren, offensichtlich. Und dass man sich öfter sehen müsste. Aber die Arbeit. Dann war Marcos Flasche leer und er stand auf. »Ich muss los«, sagte er. »Danke für das Bier.« Er gab Cara die Hand und klopfte Vitali auf den Rücken. »Hau rein. Bis bald, Alter.«
»Noch ein Bier?«, fragte Vitali, als Marco weg war. »Oder was zu essen?«
Soljanka, dachte Cara. »Nee danke. Ich muss auch nach Hause.«
»Schade. Ich wollt dich gerade fragen, ob du noch mit zu Jacky kommst.«
»Du willst zu Jacky? Warum das denn?«
»Ich will’s jetzt wissen. Ich frag sie jetzt einfach selbst, wer Tessis Vater ist.«
»Und du meinst, sie erzählt es dir? Das kannst du dir sparen. Sie hat es ja nicht mal ihren besten Freundinnen verraten.«
»Aber seit letztem Samstag hat sich die Situation ja wohl ein bisschen verändert«, meinte Vitali.
»Ich glaube nicht, dass Jacky was mit Toms Tod zu tun hat.«
»Glauben ist nicht wissen«, sagte Vitali. »Was ist? Willst du nicht mitkommen? Kannst bei mir mitfahren.«
»Hast du ein Auto?«
»Auf dem Gepäckträger.«
»Wie romantisch.«
»So bin ich.«
Sie musste lachen und irgendwie gab das den Ausschlag. »Also gut. Ich glaub zwar nicht, dass das was bringt, aber versuchen können wir es ja.«
»Super.« Vitali stand auf.
Sie nahmen dann doch nicht das Fahrrad, sondern den Bus. Und teilten sich einen Vierersitz mit zwei russischen Nachbarinnen von Vitali, die Cara während der ganzen Fahrt mit unverhohlener Neugier anglotzten.
»Ganz schön traurig, diese Geschichte mit Sergej«, sagte Cara, als sie ausstiegen.
Vitali zuckte mit den Schultern.
»Aber mit Helena hat das nichts zu tun.«
Vitali lachte leise. »Ich wusste, dass du das sagst. Du machst den gleichen Fehler, den ich gemacht habe. Du willst die Wahrheit nicht sehen. Du verrennst dich. Total.«
»Blödsinn. Sergej und du, Helena und ich. Das ist doch was ganz anderes.«
»Natürlich ist das was anderes. Ich wollte nur, dass du verstehst, dass man den Blick für die Wahrheit verliert. Wenn es um jemanden geht, den man wirklich …« Aber weiter kam er nicht, weil sie jetzt vor Jackys Haus standen und Jacky die Tür aufriss, bevor sie überhaupt klingeln konnten. Sie hatte Tessi auf dem Arm.
»Dack«, krähte Tessi erfreut.
»Wollt ihr zu mir?«, fragte Jacky und zog die Brauen zusammen.
»Zu wem denn sonst?«, fragte er.
»Mit Cara hab ich schon gerechnet. Aber mit dir nicht … Woher kennt ihr euch denn?«
»Wir arbeiten zusammen«, sagte Vitali.
»Wieso hast du mit mir gerechnet?«, fragte Cara gleichzeitig.
»Kommt erst mal rein«, sagte Jacky.
Sie wohnte im Souterrain ihres Elternhauses, ein Wohn-Ess-Schlafzimmer mit Blick auf den Garten. Der Raum war ziemlich unordentlich, aus einem offenen Kleiderschrank quollen Klamotten, überall auf dem Boden lagen Kinderspielzeug, Schuhe, schmutzige Wäsche, Bücher.
»Hier ist totales Chaos«, sagte Jacky müde. Sie ließ sich auf ihr Schlafsofa fallen. »Ich hab aufgegeben. Wenn ich aufräume, wirft Tessi sofort alles wieder durcheinander.«
»Dugga«, erklärte Tessi zufrieden. »Da.«
Und strahlte. Jacky lächelte grimmig zurück. »Sei still, du kleine Schweinebacke.«
»Da«, verkündete Tessi und zog an Jackys Haaren. Wenn Helena schwanger ist, dachte Cara, hat sie in ein paar Monaten auch so ein kleines Monster, das ihre Sachen durcheinanderwirft und ihr Leben auf den Kopf stellt.
Dann klopfte es an der Tür und Jackys Mutter streckte den Kopf ins Zimmer. »Wir gehen noch ein bisschen spazieren«, sagte sie. »Wenn du magst, nehmen wir die Kleine mit. Ist ja erst sieben.«
»Oh, das wär super! Sie müsste
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