In guten wie in toten Tagen
der Pulle, nachdenkliches Kopfschütteln. »Na, ihr wart ja auch früher schon so was wie Blutsbrüder.«
»Wer ist Sergej?«, fragte Cara.
»Mein Freund«, sagte Vitali. »Mein bester Freund. Auch ein Russe.«
Marco nickte. Vitali pulte das Etikett von seiner Bierflasche.
»Und?«, fragte Cara. »Was ist mit ihm?«
»Wir haben uns im Übergangslager kennengelernt, als wir nach Deutschland gekommen sind. Und zufälligerweise sind unsere Familien beide in Geldern gelandet. Sie haben uns in getrennte Klassen gesteckt, damit wir uns besser integrieren und schnell Deutsch lernen, wir waren trotzdem ständig zusammen. Ohne Sergej wäre ich …« Er unterbrach sich. Trank, dann pulte er weiter.
»Was?«, fragte Cara. »Was wärst du?«
»Ganz anders als ich heute bin«, sagte Vitali.
»Und jetzt? Was ist mit Sergej?«
»Im Knast«, sagte Marco düster. »Sechs Jahre wegen Totschlag.«
»Was? Wie ist das denn passiert?«
Marco sah Vitali an, Vitali sah Marco an.
»Soll ich rausgehen oder was?«, fragte Cara. »Ihr müsst es mir nur sagen, wenn ihr lieber allein sein wollt.«
»Quatsch«, sagte Marco. »Das mit Sergej, das ist dumm gelaufen, damals. Er war eben total breit und hat sich geprügelt und dann war der andere tot.«
»Sergej kam hier nicht klar«, sagte Vitali. »Seine ganze Familie kam nicht klar. Die Alten haben sich ständig gezofft, sein Vater bekam auch keine Arbeit. Die Mutter ging putzen und hat bis zum Umfallen gearbeitet, kam aber kaum was bei rum. Sergej hatte Probleme in der Schule. Eigentlich war er ein heller Kopf, am Anfang wollten sie ihn sogar aufs Gymnasium schicken. Aber irgendwie hat er aufgegeben. Hat sich nicht mehr angestrengt.«
»Er hatte auch einen Hang zu den falschen Leuten. Ehrlich gesagt«, meinte Marco.
Vitali nickte. »Er hat gedealt. Und wurde erwischt und flog von der Schule. Und auf der nächsten Schule hat er’s auch nicht gepackt, am Ende ist er ohne Hauptschulabschluss ab. Und war nur noch drauf, von morgens bis abends.«
»Aber ihr wart immer noch Freunde«, sagte Cara und wusste plötzlich, dass das der eigentliche Grund war, warum Vitali sich nicht allein mit Marco getroffen hatte, warum er sie dabeihaben wollte. Weil es gar nicht um Jacky und Tessi ging. Sondern um diesen Sergej und um Vitali.
»Wir waren immer noch Freunde. Ich dachte, ich könnte ihn retten. Wenn er nicht besoffen oder high war, war er ja auch genau wie früher. Und hat auch eingesehen, dass er sich kaputt macht, dass die Drogen ihn früher oder später umbringen. Wenn ich an dem Abend mit im Foxy gewesen wäre, dann hätt er die Kurve gekriegt. Dann wär alles gut gegangen.«
»Was war im Foxy?«, fragte Cara.
»Ich hatte ihn so weit, Sergej wollte aufhören. Ich hatte ihm einen Therapieplatz besorgt. Er hätte es gepackt, da bin ich mir absolut sicher. Aber einen Tag bevor er mit dem Entzug anfangen wollte, ging alles den Bach runter. Er kam abends zu mir, ich hatte einen Film besorgt, den wir zusammen gucken wollten. Dann hat er einen Anruf bekommen und wollte weg. Bin gleich wieder da, muss nur eben was erledigen und so. Und ich Idiot hab ihn gehen lassen. Und hab ihn nicht begleitet. Dabei hab ich gemerkt, dass irgendwas im Busch war, dass er nicht gut drauf war. Ich hab den Scheißfilm allein geguckt. Und er war im Foxy und hat sich volllaufen lassen. Bis dieser Vollidiot von Kilian aufgetaucht ist.«
»Und?«, fragte Cara, als Vitali verstummte, einen Schluck Bier trank und dann wieder an seiner Flasche herumknibbelte, obwohl von dem Etikett nur noch winzige Schnipsel übrig waren, der Rest lag auf dem Teppich.
»Kilian war früher bei uns in der Klasse«, sagte Marco. »Wir haben ihn alle gehasst. Also, Vitali und Sergej und ich und so. Kilian war der totale Faschist.«
»War?«, fragte Cara.
»Jetzt ist er tot«, sagte Marco.
»Er hat Sergej angemacht«, sagte Vitali. »Russensau, Kinderficker, Kanacke, das ganze Programm. Aber Sergej wollte es nicht mehr hören. Da hat er Kilian eine reingehauen.«
»Eine?«, fragte Cara. »Davon stirbt man aber nicht.«
»Jemand hatte ein Messer.«
»Wer? Sergej?«
»Kilian. Es war Kilians Messer.«
»Sagt Sergej«, meinte Marco. »Aber so richtig sicher ist das nicht, dass Kilian das Messer mitgebracht hat. Und dass er es gezogen hat. Sergej sagt, er hat sich nur verteidigt. Aber das hat keiner gesehen.«
»Nein«, sagte Vitali. »Keiner hat es gesehen. Keiner weiß, wer das Messer rausgeholt hat. Vielleicht war es wirklich
Weitere Kostenlose Bücher