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In guten wie in toten Tagen

In guten wie in toten Tagen

Titel: In guten wie in toten Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Meyer
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Scheißgegend klauen die alles, was nicht niet- und nagelfest ist.«
    Im Treppenhaus stank es nach kaltem Zigarettenrauch und Müll. Der Aufzug war kaputt. »Der ging noch nie«, erklärte Vitali und machte einen großen Schritt über eine Pfütze, die sich vor der untersten Treppenstufe ausbreitete. »Wenn du morgen nicht kommst, dann bringt Renzo dich um«, fuhr er fort. »Mirko hat dich heute Morgen in der Stadt gesehen. Und fand, dass du kein bisschen krank ausgesehen hast.«
    »Ich war eben auf dem Weg zum Arzt. Oder so. Morgen komm ich wieder. Renzo soll sich nicht so anstellen. Spielt doch eh keine Rolle, ob ich da bin oder nicht.«
    »Natürlich spielt das eine Rolle.«
    Für dich schon, dachte Cara.
    »Hoffentlich war dein Kumpel nicht schon da und ist wieder abgehauen«, meinte sie, als er die Wohnungstür aufschloss.
    »Nee, ich hab ihn angerufen. Der kommt erst um fünf.«
    Die Wohnung war dunkel und winzig und hässlich. Ein kleiner Flur, in dem sich Kisten und Kartons bis unter die Decke stapelten. Links ging es in die Küche. Senfgelbe Kacheln, passend zur Fassade. Daneben das Wohnzimmer, vollgestopft mit dunklen Holzmöbeln und Gerümpel. Zwei Jungen lagen auf dem Bauch vor einer Spielkonsole, über den Bildschirm jagte ein Rennauto. Vitali rief ihnen etwas auf Russisch zu. Sie antworteten geistesabwesend, ohne sich zu ihm umzudrehen.
    »Meine Brüder«, sagte er.
    »Und deine Eltern?«
    »Bei der Arbeit. Meine Mutter ist im Verkauf, mein Vater hat Schichtdienst.«
    Sein Zimmer war ebenfalls winzig, aber wenigstens nicht so vollgestopft wie der Rest der Wohnung. Das Mobiliar bestand aus einem zerkratzten Schreibtisch mit Computer, einem Schrank, dessen Türen mit verblichenen Fußballerbildern beklebt waren, einem Bett.
    Wie hältst du das hier aus?, dachte Cara. Dieses scheußliche Zimmer, diese Enge, diese Trostlosigkeit? Sie trat ans Fenster und blickte hinaus und sah das rote Haus, in dem die Wohnungen bestimmt genauso scheußlich und eng und trostlos waren wie hier. Eine Frau stand auf einem der Balkons und rauchte und warf ihre Kippe dann über die Brüstung nach unten. Blies den Rauch aus und ging wieder rein.
    »Alles klar?«, fragte Vitali, aber bevor Cara antworten konnte, klingelte es und das war Marco.
    Sie tranken Bier, Vitali und Cara saßen auf dem Bett, Marco hockte davor auf dem Boden. Er war zwanzig wie Vitali und machte eine Lehre zum Mechatroniker, was immer das genau bedeutete. Ganz offensichtlich hatte Vitali ihn nicht auf Cara vorbereitet. Sie hatte den Eindruck, dass er sich die ganze Zeit fragte, warum sie hier war. Was zwischen ihr und Vitali war.
    »Hab mich noch mal umgehört, wegen Jacky und so«, sagte Marco. »Aber es ist sinnlos. Keiner weiß irgendwas. Ich versteh auch, ehrlich gesagt, nicht, warum dich das jetzt plötzlich interessiert. Habt ihr wieder was am Laufen oder was?«, fragte er und warf dabei einen verunsicherten Blick zu Cara.
    »Nein«, sagte Vitali. »Es geht um was anderes. Aber ist jetzt zu kompliziert.«
    »Aha«, sagte Marco und nahm einen großen Schluck Bier. »Na dann. Nee, wie gesagt, ich kann mit keinen Infos dienen. Ich glaub aber auch nicht, dass es einer von uns war. Also, aus der Clique. Das wär rausgekommen, früher oder später.«
    Aus der Clique, dachte Cara. Welche Clique? Sie hatte bisher nie den Eindruck gehabt, dass Vitali viele Freunde hatte. Oder gar eine Clique, mit der er regelmäßig abhing.
    »Ist schade, dass man sich heute so selten sieht«, sagte Marco wie auf ein Stichwort.
    »Is’ eben so«, sagte Vitali. »Jeder macht sein Ding. Man verliert sich aus den Augen.«
    Marco nickte betrübt und trank. Cara nahm ebenfalls einen Schluck aus ihrer Pulle und wäre am liebsten aufgestanden und abgehauen, sie fühlte sich so fehl am Platz. Zu zweit können wir ihn viel besser in die Zange nehmen, hatte Vitali gesagt, aber das war ja totaler Blödsinn, wie sollte sie Marco in die Zange nehmen, wenn sie überhaupt nichts über ihn wusste? Und er selbst schien auch nichts zu wissen, jedenfalls nichts über Jacky und Tessis Vater.
     »Siehst du Sergej noch?«, sagte Marco nach einer Weile. »Ich war schon ewig nicht mehr bei ihm, ehrlich gesagt.«
    »Ja«, sagte Vitali. »Na klar. Jede Woche.«
    »Echt? Das ist gut.« Marco zog anerkennend die Mundwinkel nach unten. »Alle Achtung.«
    »Wieso alle Achtung? Ist doch mein Freund.«
    »Na ja. Meiner doch auch. Aber irgendwie … hab ihn ein bisschen aus den Augen verloren.« Schluck aus

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