Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
Vom Netzwerk:
ging ich zeitig zum Frühstück nach unten. Niemand sonst war dort, also setzte ich mich an einen Tisch am Fenster und starrte über die Straße in den Park, während ich darauf wartete, dass jemand kam und meine Bestellung aufnahm. Ich wartete ziemlich lang, bestimmt zehn Minuten, vielleicht auch länger, ehe ein Mädchen mit schwarzem Rock und weißer Satinbluse aus der Küche auftauchte, ein Körbchen Croissants in der Hand. Erst sah sie mich nicht, aber als sie die Croissants auf einem langen Buffettisch an der hinteren Wand abgestellt hatte, drehte sie sich um und kam übertrieben eilfertig auf mich zu. Sie war groß und dünn, die Haut auffällig weiß und das lange, dunkle Haar wie bei Françoise und Renate straff zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. » Guten Morgen«, grüßte sie. » Sagen Sie mir bitte Ihre Zimmernummer?«
    Ich nannte sie ihr, bat um Kaffee und packte mir einige Croissants auf den Teller, zwei kalte, hart gekochte Eier sowie etwas Brot vom Buffettisch. Als das Mädchen zurückkam, bestellte ich ein englisches Frühstück, dann starrte ich aufs Neue hinaus in den feuchten Garten. Alles war noch regennass, der Himmel wolkenverhangen und auf der Straße niemand zu sehen, nur hin und wieder zischte ein Auto vorbei, spritzte durch eine Pfütze, die sich direkt vor dem Hoteleingang gebildet hatte, und verschwand in Richtung Stadtmitte. Ich sah zum Spielplatz. Anfangs glaubte ich, er sei leer, dann fiel mir ein Mädchen auf, sechs, sieben Jahre alt, nicht weit vom Metallzaun, der um den Platz verlief. Die Kleine trug ein dünnes Baumwollkleidchen, darüber eine schäbige Strickjacke, und es sah aus, als wäre sie allein, was ich seltsam fand, um diese Tageszeit, doch sagte ich mir, dass sie gewiss in der Nähe wohnte und die Mutter sie im Auge behielt. Trotzdem fand ich es nicht richtig, dass sie sich da draußen herumtrieb, wo doch alles so nass war und weiterer Regen drohte, weshalb ich mich umschaute und die Mutter zu entdecken versuchte, die dem Mädchen hoffentlich einen Mantel brachte oder es ins Warme, Trockene holte. Da leuchtete Straße und Zaun unerwartet auf, fast als hätte jemand im Nebenzimmer eine Lampe angeknipst, und ich sah, dass das Mädchen näher an den Zaun getreten war und im plötzlichen Licht zu mir herüberblickte, das Gesicht so strahlend hell wie das eines Engels in einem Gemälde von Raphael – allerdings bemerkte ich erst jetzt, dass der Ausdruck in dem Gesicht der Kleinen keineswegs engelhaft, sondern grausam war und gehässig, eine Gehässigkeit, die aus irgendeinem Grund mir galt. Ich hatte sie nie zuvor gesehen, trotzdem ging sie näher an den Zaun heran, im Gesicht ein extremer, wilder Hass, nicht allein auf mich, sondern auf alles und jeden. Dieses Mädchen – dieses magere, frierende Kind mit fadenscheiniger Strickjacke und verschlissenem Kleid – hasste mich, nicht weil ich etwas gesagt oder getan hatte, sondern weil es mich gab, in seiner Welt, und weil es mich darin nicht haben wollte. Und am eigenartigsten fand ich, dass mir das Mädchen bekannt vorkam, als es sich näherte und ich es ein wenig deutlicher sehen konnte. Ich war mir sicher, der Kleinen irgendwo schon einmal begegnet zu sein, nur wusste ich nicht mehr, wo, und im Nachhinein begreife ich, sie war viel zu weit weg, ich konnte sie gar nicht deutlich sehen. Nun, sie hätte sonst wer sein können, und ihr Blick war jener Blick, den Kinder manchmal haben, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen, doch war ich in diesem Moment davon überzeugt, sie zu kennen, weshalb ich herausfinden wollte, wieso dies sein konnte, es verzweifelt herausfinden wollte, als die Kellnerin mit dem Bratfrühstück kam. Sie legte jenes professionell freundliche Verhalten an den Tag, das alle Frauen im Hotelgewerbe anzunehmen pflegen, lächelte sogar fast, als ich mich vom Fenster abwandte, doch muss irgendwas in meinem Gesicht zu sehen gewesen sein, ein Widerschein vom Hass und Abscheu des Mädchens, weshalb sich ihr Gesichtsausdruck schlagartig änderte und sie wie erstarrt stehen blieb. » Was ist? Geht es Ihnen nicht gut?« Eigentlich wirkte sie eher verängstigt als besorgt, nur hatte sie Angst um sich, nicht um mich.
    » Alles in Ordnung«, erwiderte ich. » Es ist bloß …« Ich drehte mich wieder zum Fenster um und blickte hinaus. » Das Mädchen hat mich erschreckt«, sagte ich – doch sah ich nun, dass da niemand war, nur eine magere Gestalt, die zur anderen Parkseite eilte, eine Gestalt, die vielleicht das

Weitere Kostenlose Bücher