In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
Zeit.«
» Dann kommen Sie wenigstens für einen Moment herein«, sagte ich. » Ich wollte sowieso gerade Kaffee kochen.« Er zögerte; ich merkte ihm an, dass er daran dachte, wie er das letzte Mal unangemeldet zu uns gekommen war, und das Gleiche wollte er nicht noch einmal durchspielen. Er gehörte zu der Sorte Mensch, die nur ungern störten oder sich in den Vordergrund drängten, und nun tat er genau dies zum zweiten Mal. Normalerweise hätte ich ihn gehen lassen, aber mich interessierte, warum er an mehreren Samstagen gefehlt hatte und jetzt mit Geschenken kam, also ging ich ohne ein weiteres Wort in die Küche; ich wusste, ihm blieb nun keine andere Wahl, als mir zu folgen. Ich glaube, ich hatte bereits erraten, dass er vorhatte, Lebewohl zu sagen, bloß kannte ich den Grund dafür nicht, und ich wollte ihm eine Gelegenheit bieten, mir davon zu erzählen. Mutter mochte noch stundenlang unterwegs sein, aber das wusste er ja nicht.
Er war immer noch nervös. Während ich den Kaffee zubereitete, übten wir uns in Smalltalk; er saß am Küchentisch und klammerte sich an das mit Packpapier umwickelte Geschenk, während keiner von uns besonders ernst nahm, was wir redeten – wir warteten darauf, dass das eigentliche Gespräch begann, das, in dem er sagte, was zu sagen er gekommen war, in dem er sein Fortbleiben und den Grund für sein Kommen erklärte. » Ich habe gehört, Sie waren in England?«, fragte er, als ich das Geschirr auf den Tisch stellte.
Ich nickte. » Nur kurz«, antwortete ich in einem Ton, der ihm, hoffentlich höflich, zu verstehen gab, dass ich mich darüber nicht weiter unterhalten wollte.
» Und alle Bilder sind auf dem Weg nach Oslo?«
» Ja.«
» Das ist gut.« Für einen Moment saß er still da und wusste anscheinend nicht, was er als Nächstes sagen sollte; als er schließlich zu reden begann, klang seine Stimme anders, weniger nervös, etwas entspannter, so, als hätte er sich inzwischen ausgerechnet, dass Mutter allzu bald nicht zurückkommen würde, weshalb er sein Geschenk und das, was er zu sagen hatte, mir anvertrauen konnte – es war nicht zu übersehen, dass er sich fürchtete, Mutter zu begegnen. Es gab da etwas, was er ihr sagen wollte, doch wäre ihm wohler, er müsste es ihr nicht ins Gesicht sagen. Er lächelte. » Und? Was gibt es Neues hier draußen auf Kvaløya?« Aus seinem Mund klang es weit fort, fast, als gehörte die Insel schon zu seiner Vergangenheit, und es tat mir um Mutters willen leid, dass er bereits damit begonnen hatte, diesen Teil seines Lebens hinter sich zu lassen.
» Nicht viel.«
» Das ist gut«, wiederholte er sich und entspannte sich noch ein wenig mehr. » Ist schon zu viel passiert. Diese Jungen, die ertrunken sind …«
Das überraschte mich. Aus irgendeinem Grund hatte ich angenommen, dass ihm das, was den Brüdern Sigfridsson widerfahren war, nicht viel bedeutete – zumindest nicht so viel, dass er es zum Gesprächsthema machte. » W irklich seltsam, nicht?«, sagte ich.
» Ja, ein schrecklicher Zufall, dass sie Brüder waren und dass …«
» Kyrre Opdahl glaubt nicht, dass es Zufall war«, unterbrach ich ihn zu meiner eigenen Verblüffung. Ich hatte nicht vorgehabt, von Kyrre zu reden, doch fiel mir nichts anderes ein – und ich merkte, wie sehr ich nach einer Möglichkeit suchte, die Unterhaltung in die Länge zu ziehen, da ich, ohne es selbst recht zu verstehen, nicht wollte, dass er mir einfach das Kästchen gab und ging.
Er lächelte. » Aha, ich bin mir zwar nicht sicher, ob ich wissen will, was Kyrre Opdahl glaubt, aber Sie werden es mir bestimmt ohnehin erzählen.«
Da musste ich lächeln. Ich denke, er hatte Kyrre Opdahl gern und eine höhere Meinung von ihm, als er sich nun den Anschein gab – auch wenn er nur zu genau wusste, was Kyrre von ihm hielt. » Er meint, man habe sie geholt«, sagte ich.
» Wie meinen Sie das? Gehol t ?«
Ich zuckte die Achseln. » Von der Huldra geholt.«
Ich hatte erwartet, dass er lachte, tat er aber nicht – und zum ersten Mal begriff ich, dass ihm meine Freundschaft mit dem alten Mann Sorgen machte, weil er sich fragte, was Kyrre mir mit seinen verrückten Geschichten für einen Unsinn eintrichterte. Er sammelte diese verrückten Geschichten zwar selbst, nur hatten sie für ihn rein akademische Bedeutung. Sie waren jedenfalls nichts, woran er glaubte, nicht so, wie Kyrre es tat. » Und warum meint er das?«
» Tja, Sie haben doch selbst gesagt, was für ein merkwürdiger Zufall es war
Weitere Kostenlose Bücher