In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
nicht länger im Haus haben. Jetzt, da gesagt worden war, was er zu sagen hatte, wollte ich, dass er ging, ehe Mutter heimkehrte. » Danke«, sagte ich. » Ich bin mir sicher …«
Er schüttelte den Kopf. » Ist schon in Ordnung. Sie müssen nichts sagen.« Er stand auf, um zu gehen – und ich versuchte nicht, ihn aufzuhalten. Ich war überzeugt, dass wir ihn nicht wiedersehen würden. Ich wusste, Mutter würde ihn eine Zeit lang vermissen – aber eben nur eine Zeit lang. Er wusste es auch, aber das war nicht mehr wichtig. In Gedanken war er schon woanders – und einen Moment lang kam mir das wie Verrat vor, nicht an Mutter, sondern an ihm selbst. Als gäbe er sich mit weniger zufrieden, als er verdiente, mit etwas, das er bloß wollte. Als ich die Tür öffnete, um ihn aus dem Haus zu lassen, blieb er noch einmal kurz stehen und sah mich ein letztes Mal an. » Es gibt mehr als nur eine Art zu leben.«
Erst dachte ich, er spräche von sich, dann aber verstand ich, dass er an etwas anderes dachte – dass er eigentlich von mir redete. » Ich weiß nicht, was Sie meinen«, erwiderte ich, verstand ihn jedoch sehr wohl , und zum allerersten Mal war ich wütend auf ihn.
» Sie sind Ihre Tochter, aber das muss nicht heißen, dass Sie wie sie sein müssen«, fuhr er fort. » Sie haben Ihr eigenes Leben.«
Ich wandte den Blick ab. Mehr wollte ich nicht hören. Er vergaß sich, und ich musste ihn daran hindern. » Danke, dass Sie vorbeigeschaut haben«, sagte ich. » Ich werde Mutter Ihre Abschiedsgrüße ausrichten.«
Einen Moment lang regte er sich nicht , und ich glaube, in diesem einen Moment fürchtete er, ich könnte ihn missverstanden haben. Vielleicht ärgerte er sich auch über sich selbst, weil er mit etwas herausgeplatzt war, über das er offensichtlich schon lange nachgedacht hatte – seit wann? Seit wir am Strand Steine ins Wasser geworfen hatten? Seit er in eine bloß menschliche Frau verliebt war und Mutter mit neuen Augen sah? Ich wusste es nicht, es kümmerte mich auch nicht – und als er das merkte, traf er die einzige Wahl, die ihm noch blieb, schwieg, ließ sein Geschenk da und ging.
***
Ich weiß es nicht genau, bin mir aber ziemlich sicher, dass Martin in eben jener Nacht ertrank. Fast hätte ich verpasst, was geschah, weil ich gleich nach dem Abendessen in meinem Zimmer eingeschlafen bin und erst nach zehn wieder wach wurde. Mutter und ich hatten das Essen gemeinsam zubereitet, wobei ich von Ryvolds Besuch berichtete und ihr das Geschenk gab, aber nichts von der Frau aus Wisconsin erzählte oder von Ryvolds Versuch, mir einen Rat zu erteilen. Ich beschränkte mich auf das Wesentliche – und ich sah ihr an, dass sie nicht sonderlich überrascht war. Sie wirkte auch nicht gerade, als würde die Neuigkeit sie besonders mitnehmen. Sie öffnete das Kästchen – es enthielt eine Brosche, deren Design vermuten ließ, dass Ryvold sie passend zum Mohnblumenschal ausgesucht hatte –, legte es dann beiseite, und wir aßen. » Wie war dein Nachmittag?«, fragte sie und reichte mir die Kartoffeln.
» Gut. Und dein Spaziergang?«
» Auch gut«, erwiderte sie. » Unten am Strand habe ich Kyrre Opdahl getroffen. Er sagt, du hättest ihn seit deiner Rückkehr aus England nicht mehr besucht.«
Das stimmte. Ich war nicht bei ihm vorbeigegangen, und ich wusste, er wartete darauf, alles über meine Reise zu erfahren. Wahrscheinlich ging ich ebendeshalb nicht zu ihm. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Mir war es unangenehm, dass Mutter mit ihm geredet hatte, und ich wollte nichts über Kate Thompson erzählen müssen. Ich wollte ihm nicht gestehen müssen, dass ich zu spät zum Krankenhaus gekommen war, dass mein Vater schon tot war, als ich ankam, denn das würde ihn aufregen. Es würde ihn um meinetwillen aufregen, und es würde ihn verletzen, dass es mich nicht aufregte.
Mutter nickte. » Du solltest zu ihm gehen«, sagte sie. » Er hat dich sehr gern, weißt du.«
» Ja, weiß ich. Es ist bloß …« Ich brach ab, weil ich nicht wusste, wie ich sagen sollte, was ich sagen wollte, ohne es nach einem Vorwurf klingen zu lassen, denn mich hatte es doch ziemlich geärgert, dass sie ihm erzählt hatte, ich fahre nach England, um meinen Vater zu treffen. » Es ist bloß … Er wird alles über meine Reise wissen wollen und …«
» Und was?«
» Ich würde lieber nicht darüber reden.«
» Nun, dann mach’s nicht.«
» Das kann ich nicht.«
» Warum nicht? Du musst nicht darüber reden, wenn du
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